Artikel 5.1.1

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VerenaMeier
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Was ist die Summe aus 10 und 4?: 14

Artikel 5.1.1

Beitrag von VerenaMeier » 05.01.2023, 16:28

Zunächst wünsche ich allen, Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch gehabt zu haben.

Nachfolgend geht es um den
5.1.1 The game is won by the player who has checkmated his/her opponent’s king. This immediately ends the game, provided that the move producing the checkmate position was in accordance with Article 3 and Articles 4.2 – 4.7.

Die Tage habe ich dazu im Netz die Meinung eines renommierten ;-) SR gefunden, nämlich dass im Falle, der letzte Zug des Gegners war regelwidrig, ein Spieler erst dann Matt setzen (und damit die Partie beenden) könne, nachdem der Gegner seinen regelwidrigen Zug auch abgeschlossen habe ... mit der Begründung, dass ansonsten der Gegner seinen regelwidrigen Zug ja noch hätte korrigieren dürfen und deshalb(!) der Spieler gar nicht am Zug sei.

Dies ist allein schon deshalb eine skurile Argumentation, da nach einem regelwidrigen Zug - und zwar unabhängig davon, ob abgeschlossen (Uhr gedrückt) oder nicht - das Zugrecht NICHT wechselt, stattdessen der regelwidrige Zug nicht nur korrigiert werden dürfte sondern eben korrigiert werden müsste.

Vielmehr spielt es keine Rolle, ob ein regelwidriger Zug weiter zurückliegt oder ein regelwidriger Zug des Gegners dem 'Mattzug' unmittelbar vorausgeht, denn ganz allgemein (ausgenommen: nicht ausreichend überwachtes Rapid und Blitz) gilt:

Nach einem als solchen nicht gewürdigten regelwidrigen Zug sind sowohl dieser als auch alles nachfolgende Geschehen auf dem Brett als 'schwebend unwirksam' (das ist ein Begriff aus dem Rechtswesen, trifft aber auch im Regelwerk den Nagel auf den Kopf) zu betrachten - wirksam werdend mit Ende der Partie.

Grüße, VM

dfuchs
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Re: Artikel 5.1.1

Beitrag von dfuchs » 06.01.2023, 16:12

Naja, die Meinung des renommierten Schiedsrichters ist aus meiner Sicht einfach richtig (oder habe ich das sogar irgendwo geschrieben?)

Schauen wir doch einmal in die Regeln, wollen wir?

Das Zugrecht wechselt, sofern der vorhergehende Zug "made" ist.
1.3 A player is said to ‘have the move’ when his/her opponent’s move has been ‘made’.
Ein regelwidriger Zug ist nicht "made".
4.7 When, as a legal move or part of a legal move, a piece has been released on a square, it cannot be moved to another square on this move. The move is considered to have been made in the case of: ...
in Kombination mit
3.10.1 A move is legal when all the relevant requirements of Articles 3.1 – 3.9 have been fulfilled.
Soweit warst du auch.
Nun kommt aber
7.5.1 An illegal move is completed once the player has pressed his/her clock.
Aha, ein regelwidriger Zug kann also "completed" werden.
Komisch, wer ist denn dann am Zug?
6.2.1    During the game each player, having made his/her move on the chessboard, shall pause his/her own clock and start his/her opponent’s clock (that is to say, he/she shall press his/her clock). This ‘completes’ the move. A move is also completed if:
6.2.1.1     the move ends the game (see Articles 5.1.1, 5.2.1, 5.2.2, 9.2.1, 9.6.1 and 9.6.2), or
6.2.1.2     the player has made his/her next move, when his/her previous move was not completed.
Hmm die Regeln sehen also vor, das ein Zug "made" sein kann, auch wenn der davor nicht completed war, impliziert das jetzt, das ein nächster Zug auch "made" sein kann, wenn der vorherige "completed" aber nicht "made" ist?

Entweder beantwortet man diese Frage mit ja oder man muss im Fall Carlsen – Inarkiew (2017) Inarkiew recht geben, da Carlsen gezogen hat, obwohl er nicht am Zug war. Das aber wiederum wird von praktisch allen Schiedsrichtern abgelehnt und ist auch mehr als kontraintuitiv.

Also können Züge auch nach einem regelwidrigen Zug "made" sein - wobei trotzdem 7.5.1 weiter gilt.

Damit kann nach einem regelwidrigen Zug regelkonform Matt gesetzt werden.

Dann muss jetzt nur geklärt werden, wann das Zugrecht nach einem regelwidrigen Zug wechselt.
Es wechselt nicht nach dem Absetzen der Figur, ein regelwidriger Zug ist nicht "made".
Es muss aber spätestens dann gewechselt sein, wenn der Zug "completed" ist, sonst begeht man selbst einen Regelverstoß, wenn man nach einem regelwidrigen Zug selbst zieht.

Mit dieser Folge kann also erst direkt nach einem regelwidrigen Zug Matt gesetzt werden, wenn der vorherige Zug "completed" ist, also nach dem Drücken der Uhr.

Grüße Daniel

VerenaMeier
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Re: Artikel 5.1.1

Beitrag von VerenaMeier » 07.01.2023, 15:27

@ dfuchs

Du hast Recht ... Asche auf mein Haupt.
Da bin ich auf der Suche nach dem Baum der Erkenntnis über einen belanglosen Ast gestolpert und mir dabei das Genick gebrochen.
Wobei die 'Suche nach dem Baum der Erkenntnis' zu lesen ist als die Suche nach einer sauberen Begründung dafür, wie das Zugrecht nach einem regelwidrigen Zug eines Spielers wechseln kann - und der 'belanglose Ast' zu lesen ist als der simple Fakt, dass es einen nicht abgeschlossenen regelwidrigen Zug nicht gibt.

Deine Begründung zum 'belanglosen Ast' ist nicht zu beanstanden und dass ein Spieler nach einem regelwidrigen Zug seines Gegners mit 5.1.1 die Partie beenden darf, sehe ich ebenso ... nur ... mir fehlte (für mich) eine saubere Begründung für den Wechsel des Zugrechts nach einem regelwidrigen Zug des Gegners.

Irgendwelche Klimmzüge an den elementaren um nicht zu sagen: heiligen Artikeln 1.3 (Wechsel des Zugrechts) oder 4.7 (der ausgeführte Zug) und diesee damit unweigerlich zu verbiegen um nicht zu sagen: zu entweihen ;-) ... will ich aus prinzipiellen Gründen nicht gelten lassen.

Nach dem Regelwerk ist ein regelwidriger Zug unzulässig, ein Wechsel des Zugrechts nach einem solchen Zug ist allerdings im Plan nicht vorgesehen ... die 'heiligen' 1.3 oder 4.7 würden auch sofort ihr Veto einlegen. Es ist lediglich das Verfahren geregelt, falls der regelwidrige Zug als solcher während der Partie erkannt wird - auch hier kein Wechsel des Zugrechts (vorausgesetzt es handelt sich nicht um den zweiten Fauxpas des selben Spielers in selber Sache).

Auf der Suche nach einem Ausweg kam mir der Begriff 'schwebende Unwirksamkeit' in den Sinn - ein Begriff aus dem Rechtswesen von dem man meinen könnte, er wäre genau für obiges Problem definiert worden.
"Bei der schwebenden Unwirksamkeit bleibt die Wirksamkeit des abgeschlossenen Rechtsgeschäfts bis zur Nachholung des fehlenden Wirksamkeitserfordernisses" (Heilung) "in der Schwebe" ... (Wikipedia)

Wenn also ein regelwidriger Zug als solcher nicht erkannt wird (eine Gewissensprüfung findet nicht statt ;-)), wird man diesen logischerweise als ausgeführt (made) wähnen und wiederum logischerweise ebenso einen Wechsel des Zugrechts.
Allerdings sind dabei (sozusagen im GodMode des Regelwerks) sowohl der als solcher nicht erkannte regelwidrige Zug als auch sämtliche nachfolgenden Geschehnisse auf dem Brett als 'schwebend unwirksam' zu betrachten, entweder bis reklamiert wird (danach keine 'Heilung' mehr möglich -> unwirksam) oder bis Ende der Partie (die erfolgte 'Heilung' -> wirksam).

Die Frage, ob ein Spieler nach einem regelwidrigen Zug seines Gegner am (Matt-)Zug ist oder nicht - löst sich jedenfalls in Wohlgefallen auf, ohne das 1.3 oder 4.7 angetastet werden mussten.
Er IST NICHT am (Matt-)Zug z.B. falls der Gegner noch rechtzeitig (bevor der Spieler seine Figur loslässt) seinen eigenen Zug reklamiert.
Reklamiert er nicht oder erst nach Ende der Partie, dann WAR der Spieler am (Matt-)Zug.

Mir ist natürlich schon klar, dass nicht wenige das Ganze für überkandidelt halten - ich bin aber der Überzeugung, dass ohne einen solchen Kunstgriff nicht sauber zu begründen ist, dass ein Spieler nach einem regelwidrigen Zug seines Gegner am Zug sein soll.

Übrigens ... auffallend ist, dass als Voraussetzung 'having the move' an mehreren Stellen im Regelwerk zu finden ist - nicht aber im 5.1.1 und - analog - auch nicht im 5.2.1 und 5.2.2 (hatten die Regelschreiber seinerzeit etwa irgendwie ein mulmiges Gefühl im Bauch?).

Liebe Grüße, VM

dfuchs
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Re: Artikel 5.1.1

Beitrag von dfuchs » 07.01.2023, 18:26

Darf ich an der Stelle übrigens mein Bedauern über dein Ausscheiden im Schachfeld Forum bemerken.
Wir sind häufig nicht einer Meinung, dennoch finde ich die Diskussionen mit dir immer sehr erbauend.
Egal ob du recht oder unrecht hast du denkst dir immer etwas sinnvolles und deine Begründung ist immer vernünftig.

Bis zur nächsten Diskussion.

Grüße Daniel

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