Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Georg Heinze
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Re: Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Georg Heinze » 03.04.2010, 21:01

Wie Eckart bereits geschrieben hat, das Schiedsgericht hat richtig entschieden, nur die Begründung ist sehr zweifelhaft. Das hätte man einfacher haben können!

Chlodwig
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Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Chlodwig » 20.06.2010, 09:50

Zur Komplettierung hier noch der in der Rochade 6/2010 veröffentlichte Schiedsgerichts-Entscheid zu dieser Sache:

„Mitteilung des Schiedsgerichts
des Pfälzischen Schachbundes e. V.

Wiederspruch gegen die Wertung einer Partie als
wegen Zeitablaufs verloren trotz Remisreklamation

Das Schiedsgericht hat in der Besetzung XXXX XXXXXX (Beisitzer), XXXX XXXXXX XXXX (Beisitzer) und XXXXXXX XXXXXXXXXXXXX (Vorsitzender) in der mündlichen Verhandlung vom 03.04.2010 in Neustadt, Leibniz-Gymnasium (Kongressspielort), Beweis erhoben durch die Anhörung der beteiligten Spieler und der Schiedsrichter / Zeugen X und Y. Folgender Sachverhalt stand zur Entscheidung:
Die Beteiligten spielten in der letzten Runde einer Bezirkseinzelmeisterschaft gegeneinander. Nach wechselseitigem Partieverlauf und gegenseitigen Remisangeboten trat die Partie ca. um den 70. Zug in die akute Zeitnotphase ein (Quick-play-Finish). Der Widerspruchsführer verfügte noch über 3-6 Sekunden, der Widerspruchsgegner verfügte noch über 15-20 Sekunden verbleibende Restbedenkzeit.
Zu diesem Zeitpunkt war die Partie bereits hektisch geworden. Der Schiedsrichter X, zugleich Zeuge, stand unmittelbar am Brett und notierte mit bzw. versuchte mitzuschreiben. Der weitere Schiedsrichter Y, ebenfalls zugleich Zeuge, beobachtete das Geschehen versetzt hinter ihm. Beide Schiedsrichter waren zu Beginn der Bezirkseinzelmeisterschaft als Schiedsrichter vorgestellt worden. Schiedsrichter X war zugleich Bezirksspielleiter und stammte aus dem gleichen Verein wie der Widerspruchsgegner. Schiedsrichter Y war stellvertretender Bezirksspielleiter.
Der Widerspruchsführer äußerte in dieser Situation mit Blickrichtung auf den mitschreibenden Schiedsrichter X:“Das ist doch remis“. Zu diesem Zeitpunkt verblieben ihm noch zwischen 3 bis 5 Sekunden Restbedenkzeit auf der Uhr. Eine Reakton des Schiedsrichters X blieb aus. Die Partie wurde um einen oder mehrere Züge fortgesetzt. Der Widerspruchsführer äußerte sodann entweder: „Dies ist ein Remisantrag“ oder „Ich stelle den Antrag auf Remis“ oder „Beantrage Remis“. Ob bei diesem weiteren Ausspruch noch Bedenkzeit auf seiner Uhr verblieb, ist unklar. Die Uhr wurde nicht angehalten.
Der Schiedsrichter X wertete das Spiel wegen Zeitüberschreitung mit 1:0 zu Gunsten des Widerspruchsgegners. Im Anschluss an diese Entscheidung kam es zu längeren Diskussionen zwischen ihm und dem weiteren Schiedsrichter Y, in deren Verlauf der Schiedsrichter X geäußert hat, dass er sich wegen der gleichen Vereinszugehörigkeit befangen fühle.
Gegen die Entscheidung des Schiedsrichters X legte der Widerspruchsführer fristgerecht Widerspruch ein. Er begehrt die Wertung der Partie als remis. Das Schiedsgericht hat den Widerspruch / Protest abgewiesen. Die Entscheidung des Schiedsrichters X, die Partie als verloren zu werten, war zutreffend. Das Schiedsgericht teilt die Entscheidung vom 03.04.2010 gemäß § 29 Nr. 3 RVO in Form von Leitsätzen mit:
1. Ein an sich unzulässiger Widerspruch gegen eine Entscheidung des Schiedsrichters bei einer Bezirkseinzelmeisterschaft kann ausnahmsweise in einen zulässigen Protest umgedeutet werden. Voraussetzung ist in jedem Fall die fristgerechte Einlegung des Rechtsmittels und die Zahlung der Gebühr.
2. Sind mehrere Schiedsrichter bei einem Turnier vorgestellt, so ist derjenige Schiedsrichter maßgeblich, der sich für die Beteiligten erkennbar am nächsten am Geschehen befindet und die Entscheidung trifft. Erst wenn der Rechtsmittelführer den Einwand erhebt, dass der entscheidende Schiedsrichter im Verhältnis zu den weiteren Schiedsrichtern nicht der in dieser konkreten Situation zuständige Schiedsrichter sei, hat das Schiedsgericht diesem Einwand nachzugehen.
3. Eine Remisreklamation nach Art. 10 FIDE-LAW of CHESS liegt vor, wenn der Reklamierende deutlich macht, dass er remis begehrt, weil die Stellung mit normalen Mitteln nicht mehr zu gewinnen ist oder / und fehlende Gewinnanstrengungen des Gegners behauptet.
4. Art. 10 der FIDE-LAW of CHESS zum „Quickplay Finish“ gilt auch auf Bezirks- und Pfalzebene, § 2 TO sowie § 6 Abs. 2 TO Bezirk Nord-Ost. Danach ist es nicht (mehr) zwingend erforderlich, dass der Reklamierende die Uhr anhält. Ein dadurch entstehender Beweismittelverlust geht jedoch zu seinen Lasten. Es muss sicher feststehen, dass bei der Reklamation noch Restbedenkzeit vorhanden ist. Ist ein Spieler der Meinung, dass seine Remisreklamation erfolgreich sein müsste, ist daher anzuraten, die Uhr anzuhalten, um einen Beweismittelverlust und vollendete Tatsachen durch Zeitablauf zu verhindern. Er kann damit eine Schiedsrichterentscheidung erzwingen.
5. Erst wenn sämtliche Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Art. 10 vorliegen, kann und darf der Schiedsrichter bei einer Reklamation ohne Anhalten der Uhr seitens des Reklamierenden einschreiten. Er hat dabei im Zweifel Zurückhaltung zu üben und nicht vorschnell in die Partie einzugreifen. Die Entscheidungen des Schiedsrichters in der Quickplay-Finish-Phase sind unanfechtbar, Art. 10.2 d.
6. Ein Schiedsrichter auf Bezirksebene ist bei einer Entscheidung im Rahmen einer Bezirksmeisterschaft, an der er selbst nicht mitspielt, nicht dadurch befangen, dass er dem gleichen Verein angehört, wie ein Spieler, der an dem Protestfall beteiligt ist.“
Live chessed and proper!

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Re: Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Scharfrichter » 22.06.2010, 20:24

:D

Thomas Rondio
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Re: Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Thomas Rondio » 23.06.2010, 07:38

Chlodwig hat geschrieben:Gegen die Entscheidung des Schiedsrichters X legte der Widerspruchsführer fristgerecht Widerspruch ein. ... Das Schiedsgericht hat den Widerspruch / Protest abgewiesen.
Was ist denn das für ein Schiedsgericht, dass sich Entscheidungen anmaßt zu einem Punkt, über den es gar nicht zu entscheiden hat? Dass es gegen die SR-Entscheidung bei 10.2 keine Einspruchsmöglichkeiten gibt, sollte sich inzwischen auch bis nach Rheinland-Pfalz herumgesprochen haben.
Freundliche Schachgrüße!

Thomas Rondio

Georg Heinze
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Re: Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Georg Heinze » 23.06.2010, 08:13

Aha, bei Entscheidungen nach Art. 10.2 ist der Schiedsrichter die letzte Instanz?

Ich weiß zwar nicht, auf welcher Grundlage das SG in Rheinland-Pfalz arbeitet, aber ich denke, das ist ähnlich wie in Sachsen.
Hier heißt es z.B. in der WTO:
1. Gegen getroffene Entscheidungen zum Spielbetrieb und gegen verfügte
Ordnungsmaßnahmen sind Rechtsmittel zulässig. Rechtsmittel sind Beschwerde,
Protest, Einspruch und Berufung. Sie können von Vereinen, von Mannschaften, von
Spielern, von Funktionären und vom Vorstand des SVS eingelegt werden, soweit sich
das aus den nachfolgenden Bestimmungen ergibt.
Nach der sächsischen WTO würde es sich im vorliegenden fall um einen Protest gegen eine Schiedsrichter-Entscheidung handeln, und nicht um einen Widerspruch, aber das ist nur Formsache.

Wenn sich das Schiedsgreicht als nicht zuständig fühlt, hat es nur die Möglichkeit, den Widerspruch mit eben dieser Begründung nicht zur Entscheidung anzunehmen.

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Re: Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Thomas Rondio » 23.06.2010, 09:15

Georg Heinze hat geschrieben:Aha, bei Entscheidungen nach Art. 10.2 ist der Schiedsrichter die letzte Instanz?
Richtig!

Zum Nachlesen:

FIDE-Regel 10.2.d):

Die Entscheidung des Schiedsrichters in Bezug auf 10.2.a), b) und c) ist endgültig.

Wenigstens das sollte man schon wissen, wenn man in einem Schiedsrichterforum mitdiskutieren will.
Freundliche Schachgrüße!

Thomas Rondio

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Re: Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Scharfrichter » 23.06.2010, 10:09

So wie ich das rausgelesen habe, war das keine entscheidung über 10.2, sondern
über die angebliuche nichtannahme des 10.2 durch den Schiedsrichter !!

Georg Heinze
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Re: Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Georg Heinze » 23.06.2010, 12:40

Immer schön sachlich bleiben!
In der kommentierten Fassung der FIDE-Regln steht
12.2 d) Die Entscheidung des Schiedsrichters in Bezug auf 10.2 a), b) und c) ist endgültig.

Endgültig! Es ist also kein Einspruch mehr bei einer höheren Instanz (bei
Turnieren das Turniergericht) möglich.
Das kann ich auch selbst nachlesen und natürlich auch das Schiedsgericht.

Aber wie Scharfrichter schon schreibt, ging die Entscheidung des SR ja nicht um die Beurteilung der Partie entsprechend 10.2., sondern er hatte entschieden, dass die Partie wegen ZÜ verloren ist.
Ein ordnungsgemäßer Remisantrag, den er zu beurteilen hätte, wurde somit gar nicht gestellt.

Gut, meine Formulierung war insoweit nicht exakt. Es ging aber darum, ob das SG den Widerspruch entscheiden darf oder nicht.

Daniel Hendrich
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Re: Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Daniel Hendrich » 26.06.2010, 09:05

Scharfrichter hat geschrieben:So wie ich das rausgelesen habe, war das keine entscheidung über 10.2, sondern
über die angebliuche nichtannahme des 10.2 durch den Schiedsrichter !!

Ganz recht. Es war darüber zu befinden, ob der Remisantrag nach 10.2 durch den Spieler korrekt gestellt wurde oder nicht. Das Schiedsgericht hat richtigerweise festgestellt, dass der Antrag den Formalien nicht genügt hat und daher als nicht gestellt zu sehen ist.

Zum Thema einer "Nicht-Entscheidung" noch eine kleine Anekdote aus einem Verband:
Verein X legt Protest beim Verbandsspielleiter Y ein; es ging um eine Entscheidung, die ein Schiedsrichter/Mannschaftsführer getroffen hat. Verbandsspielleiter Y reagiert nicht. Verein X wiederholt den Protest, wendet sich an den Vorstand des Verbandes und an das Schiedsgericht. Diese verweisen darauf, dass sie nicht zuständig sind und fordern Verbandsspielleiter Y auf, den Protest zu bearbeiten. Verbandsspielleiter Y reagiert nicht.
Das ganze zieht sich so lange hin, bis die Saison zu Ende ist. In der TO des Verbandes ist geregelt, dass mit dem Ende der Saison auch alle nicht abgeschlossenen Proteste sozusagen verfallen.
Merke: Auch eine "Nicht-Entscheidung" kann etwas entscheiden :-)
Daniel Hendrich

Internationaler Schiedsrichter

Georg Heinze
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Re: Remisreklamation - Zeitpunkt, Form und überhaupt...

Beitrag von Georg Heinze » 26.06.2010, 09:24

Umganssprachlich nenn man das das "aussitzen".
Ich nehme ja an, dass besagter Spielleiter immer noch Spielleiter ist.

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