Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

PascalPflaum
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Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von PascalPflaum » 11.01.2011, 13:43

Hallo Schiedsrichterkollegen.

Ich habe eine Frage, die hoffentlich jemand mit mehr Ahnung beantworten kann.

Folgendes Szenario:
In einem Mannschaftskampf reist bei der Auswärtsmannschaft ein Spieler einzeln an und verspätete sich etwas.
Die sieben Mannschaftskollegen sind pünktlich vor Ort und der Mannschaftskampf beginnt pünktlich.
Der fehlende achte Mann der Gastmannschaft hat am ersten Brett Schwarz.
Der weiße Spieler der Heimmannschaft schreibt seinen Zug auf das Partieformular und verdeckt dieses, führt allerdings keinen Zug am Brett aus und startet die schwarze Uhr.
Der achte Mann der Gastmannschaft erscheint nach 10 Minuten setzt sich ans Brett und Weiß führt dann seinen Zug am Brett aus.

Ist das konform?
Gab es mal so eine Regelung?
Ich konnte nirgendwo soetwas finden und war doch ein wenig verwundert und wollte mich mal für die Zukunft schlau machen.

Eckart
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Re: Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von Eckart » 11.01.2011, 15:47

Nein, eine solche Regelung gibt es nicht. Trotzdem erstaunlich, wie lange eine solche "Legende" im Bewusstsein mancher Spieler haften bleibt.

Ob es eine derartige Regelung in grauer Vorzeit einmal gegeben hat, entzieht sich meiner Kenntnis.

Wenn ich Schwarz gewesen wäre, hätte ich verlangt, dass meine Uhr auf Anfang zurückgestellt wird und die zehn Minuten dem Weißen abgezogen werden. Weiß hat keinen Zug auf den Brett ausgeführt, durfte also die Uhr nicht betätigen.

Georg Heinze
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Re: Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von Georg Heinze » 11.01.2011, 18:44

Wozu gibt es FIDE-Regeln?
Zum genannten Fall gibt es eindeutige Aussagen:
6.5 Zu dem für den Partiebeginn festgesetzten Zeitpunkt wird die Uhr des Spielers mit den weißen Figuren in Gang gesetzt.
6.7 a) Während der Partie hält jeder Spieler, nachdem er seinen Zug auf dem Schachbrett ausgeführt hat, seine eigene Uhr an und setzt die seines Gegners in Gang. Einem Spieler muss es immer ermöglicht werden, seine Uhr anzuhalten. Sein Zug gilt als nicht vollständig abgeschlossen, solange er das nicht getan hat, es sei denn, der ausgeführte Zug hat die Partie beendet (siehe Artikel 5.1a, 5.2a, 5.2b, 5.2c und 9.6).
Es wird also zum Spielbeginn die Uhr des weißen Spielers in Gang gesetzt.
Dieser hat nun einen Zug auf dem Schachbrett auszuführen. Erst danach darf die gegenerische Uhr in Gang gesetzt werden! Außerdem hat er gegen das in Art. 8.1 festgelegte Verbot verstoßen, welches ein Aufschreiben im voraus verbietet.

Wie Eckart bereits ausführte, kann der gegnerische Spieler das Zurückstellen der Uhr verlangen. Außerdem würde ich den weiß-Spieler verwarnen.

Was zwar nichts mit dem dargestellten Fall zu tun hat, gibt es tatsächlich eine Regelung, wo der Gast am 1.Brett schwarz hat? Ich kenne es nur so, dass die Gastmannschaft an den ungeraden Brettern weiß hat.

PascalPflaum
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Re: Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von PascalPflaum » 11.01.2011, 20:08

Es war ein hypotetischer Fall, aber es gibt Regionen, da hat die Gastmannschaft schwarz an eins. In Österreich z.B.
Beschäftige mich gerade mit der dortigen Liga, daher habe ich das wohl automatisch so rum konstruiert.

In den Fide-Regeln habe ich auch nichts gefunden und mir ist natürlich der zitierte Passus auch geläufig. Danke aber nochmal fürs zitieren.

Hat jemand eine Idee wo diese "Legende" herkommt. Gab es da mal etwas?

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Re: Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von Eckart » 11.01.2011, 21:18

PascalPflaum hat geschrieben:Hat jemand eine Idee wo diese "Legende" herkommt. Gab es da mal etwas?
Das Prozedere dürfte als Analogie zu dem Verfahren bei der Wiederaufnahme von Hängepartien hergeleitet worden sein: ist der Spieler, der den Abgabezug abgegeben hat, bei Wiederaufnahme nicht anwesend, darf der Gegner seinen Antwortzug - statt ihn auf dem Brett offen auszuführen - seinerseits versiegeln, damit der Möglichkeit vorgebeugt wird, dass der Abwesende den Zug durch einen anwesenden "Spion" erfährt und den möglichen Fortgang der Partie am Brett analysiert.

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Re: Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von hoppepit » 11.01.2011, 23:47

PascalPflaum hat geschrieben:Hat jemand eine Idee wo diese "Legende" herkommt. Gab es da mal etwas?
Wohl aus anderen Schachforen. Habe dort schonmal gelesen, daß die Turnierleitung (in geraumer Vorzeit) auf diversen Opens diese Vorgehensweise gestattet bzw. geduldet hat.
Kann ich persönlich aber leider nicht nachvollziehen, da es garantiert nicht regelkonform ist!!
Gruß, Peter
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Re: Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von Eckart » 12.01.2011, 11:18

hoppepit hat geschrieben:
PascalPflaum hat geschrieben:Hat jemand eine Idee wo diese "Legende" herkommt. Gab es da mal etwas?
Wohl aus anderen Schachforen.
Ich habe derartige Vorkommnisse schon lange vor dem Aufkommen des Internets beobachtet, aus "Schachforen" kann das also nicht stammen.

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Des Rätsels Lösung

Beitrag von thomas.soergel » 12.01.2011, 13:59

Es gibt eine regelkonforme Möglichkeit, wo bei Schwarz die Uhr läuft, ohne dass Weiß gezogen hat.
Dies ist dann der Fall, wenn der Wettkampf beginnt und eine Mannschaft noch keine Mannschaftsaufstellung abgeben hat.
Entweder, weil sie noch nicht da ist oder weil z.B. Bretter nur hinten frei gelassen werden dürfen und der Spitzenspieler noch nicht da ist.
In diesem Fall werden bei allen Spieler dieser Mannschaft die Uhren in Gang gesetzt. Da die Uhr bei Schwarz läuft, kann ja Weiß nicht am Zug sein. Er muss auch keinen Zug machen, solange sein Gegner nicht bekannt ist.
Im vorliegenden Beispiel traf dies aber alles nicht zu, so dass es in der Tat regelwidrig war, dass Weiß seinen Zug nicht auf dem Brett ausgeführt hatte.
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Re: Des Rätsels Lösung

Beitrag von Eckart » 12.01.2011, 14:24

thomas.soergel hat geschrieben:Es gibt eine regelkonforme Möglichkeit, wo bei Schwarz die Uhr läuft, ohne dass Weiß gezogen hat.
Dies ist dann der Fall, wenn der Wettkampf beginnt und eine Mannschaft noch keine Mannschaftsaufstellung abgeben hat.
Entweder, weil sie noch nicht da ist oder weil z.B. Bretter nur hinten frei gelassen werden dürfen und der Spitzenspieler noch nicht da ist.
In diesem Fall werden bei allen Spieler dieser Mannschaft die Uhren in Gang gesetzt. Da die Uhr bei Schwarz läuft, kann ja Weiß nicht am Zug sein. Er muss auch keinen Zug machen, solange sein Gegner nicht bekannt ist.
Die FIDE-Schachregeln (Laws of Chess) gestatten das jedoch nicht, Artikel 6.5 ist eindeutig formuliert.

Bei noch nicht abgegebener Mannschaftsmeldung wird im allgemeinen gewartet, bis die Aufstellung vorliegt, und dann die vom festgesetzten Spielbeginn - bzw. wenn die Mannschaftsaufstellung z. B. bis spätestens fünfzehn Minuten vor Spielbeginn vorliegen muss, von da ab - bis zur Abgabe der Meldung verstrichene Zeit bei allen Spielern der verspäteten Mannschaft abgezogen, bevor die Uhren von Weiß (!) in Gang gesetzt werden.

Nachtrag:
Mich würde interessieren, wie das von thomas.soergel beschriebene Verfahren im Fischer-Modus funktionieren soll? Sobald die Aufstellung abgeben worden ist, müsste Schwarz seine Uhr drücken, damit Weiß seinen 1. Zug ausführen kann, wobei dann allerdings Schwarz eine Zeitgutschrift erhält, obwohl er noch gar keinen Zug ausgeführt hat??!
Zuletzt geändert von Eckart am 12.01.2011, 14:28, insgesamt 1-mal geändert.

PascalPflaum
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Re: Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von PascalPflaum » 12.01.2011, 14:26

Ich sehe das auch so wie Eckart und so handhabe ich es auch.
Wenn man es so macht, kommt deutlich weniger Hektik auf und man hat genug Zeit das offizielle Prozedere (Begrüßung, wo ist was, Verlesung der Aufstellung) abzuarbeiten, ohne das Leute hektisch zu den Uhren rennen.

Uhren werden erst dann in Gang gesetzt, wenn beide Mannschaften angetretten sind und dann ausschließlich die von Weiß.

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Interessant

Beitrag von thomas.soergel » 12.01.2011, 17:32

Zunächst einmal, es wurde früher so gehandhabt, als es noch keinen Fischermodus gab. Auf DSB-Ebene ist dieser Fall sowieso hinfällig, weil ein bei Spielbeginn nicht anwesender Spieler wohl verloren hat.
Interessanter ist, dass nach Eckarts Feststellungen dann die bayerische TO gegen die FIDE-Regeln verstößt, mal sehen, was der bayerische Spielleiter dazu sagt:

Auszug aus der bayerischen TO:
3.1.5.2 Ist eine Mannschaft mit der Bestellung eines Schiedsrichters, soweit sie hierzu verpflichtet ist, oder mit der Abgabe ihrer Mannschaftsaufstellung in Verzug, oder ist die erforderliche Mindestanzahl von Spielern nicht anwesend, so sind für alle Spieler dieser Mannschaft die Uhren anzustellen.
Sind beide Mannschaftsaufstellungen verspätet, so müssen alle Uhren von Weiß angestellt werden.

Es wurde früher also so gehandhabt, das zumindest auf die Frage, woher es kommt. Ob es jemals regelkonform war, ist eine andere Frage.
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Re: Interessant

Beitrag von hoppepit » 12.01.2011, 17:56

thomas.soergel hat geschrieben:Auf DSB-Ebene ist dieser Fall sowieso hinfällig, weil ein bei Spielbeginn nicht anwesender Spieler wohl verloren hat.
Bei den (mittlerweile üblichen) 30 Minuten Karenzzeit trifft das aber nicht zu!
Gruß, Peter
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Re: Interessant

Beitrag von thomas.soergel » 12.01.2011, 18:33

hoppepit hat geschrieben:
thomas.soergel hat geschrieben:Auf DSB-Ebene ist dieser Fall sowieso hinfällig, weil ein bei Spielbeginn nicht anwesender Spieler wohl verloren hat.
Bei den (mittlerweile üblichen) 30 Minuten Karenzzeit trifft das aber nicht zu!
Peter hat Recht, war mein Fehler.
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Re: Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von Georg Heinze » 12.01.2011, 18:56

Jetzt wird aber von der eigentlichen Fragestellung abgewichen!
Natürlich schreibt die FIDE-Regel 6.5 vor, was allgemein gilt.
In den jeweiligen Turnierordnungen bzw. Ausschreibungen sind weitere Details geregelt.
Man muss ja auch unterscheiden, ob es sich um ein (Einzel-)Turnier handelt oder um einen Mannschaftskampf.
Da geht es bspw. um den Zeitpunkt der Abgabe der Mannschaftsmeldung, um die Wartezeit und die Handhabung, wenn eine Mannschaft noch nicht vollzählig ist.
Ich denke, dass die von thomas.soergel genannte Handhabung nicht im Widerspruch zu den FIDE-Regln steht, sondern eben eine konkrete Situation regelt. Es gibt ja auch noch Art. 6.6 b).

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Re: Weiß muss nicht ziehen, wenn Schwarz nicht am Brett?

Beitrag von hoppepit » 12.01.2011, 19:11

Georg Heinze hat geschrieben:Man muss ja auch unterscheiden, ob es sich um ein (Einzel-)Turnier handelt oder um einen Mannschaftskampf.
Die FIDE-Regeln (Laws of Chess) kennen aber keinen Mannschaftskampf, dort ist nur das Spiel am Brett geregelt!!
Und das Spiel am Brett dürfte immer gleich sein, egal ob Einzel oder Mannschaft?!
Gruß, Peter
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