Mitschreiben in Zeitnot

Werner
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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von Werner » 20.11.2011, 22:03

Leider enthält jedoch auch das FIDE-Handbook keine Regelungen darüber, wie zu verfahren ist, wenn der Schiedsrichter oder der Hilfsschiedsrichter einen gravierenden Fehler begeht.

Georg Heinze
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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von Georg Heinze » 20.11.2011, 23:26

Nun läuft die Diskussion aber sehr einseitig darauf hinaus, was passiert, wenn ein SR oder Hilfs-SR sich nicht ganz regelkonform verhält.
Das war aber nicht in erster Linie mein Anliegen.

Natürlich kann ein Fehlverhalten nicht so einfach hingenommen werden, aber es muss dafür auch eine Handhabe existieren. Für ein Fehlverhalten des SR oder Hilfs-SR nun einen der beiden Spieler oder gar beide mit Partieverlust zu bestrafen, halte ich dann doch für überzogen. Aus Gründen der Gleichbehandlung (schließlich profitieren ja beide Spieler davon, wenn der Hilfs-SR seine Aufzeichnungen beendet und auf dem Spieltisch ablegt), müssten dann ja auch beide Spieler mit eine "Null" bestraft werden.
Und das soll der/die Mannschaftsführer veranlassen? Wer soll denn nun entscheiden, welcher Spieler von so einer Handlung mehr oder weniger profitiert? Vollkommen wirklichkeitsfremd!
Wenn das auf SR-Lehrgängen so "eingebläut" wird, werden doch sicher auch die betr. FIDE-Regeln oder die entsprechenden Stellen des FIDE-Handbook genannt? Oder ist das eine von den Festlegungen, wie man es gerne hätte?

Chlodwig
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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von Chlodwig » 21.11.2011, 04:32

Georg Heinze hat geschrieben:Natürlich kann ein Fehlverhalten nicht so einfach hingenommen werden, aber es muss dafür auch eine Handhabe existieren. Für ein Fehlverhalten des SR oder Hilfs-SR nun einen der beiden Spieler oder gar beide mit Partieverlust zu bestrafen, halte ich dann doch für überzogen.
Meine Rede!
Georg Heinze hat geschrieben: Aus Gründen der Gleichbehandlung (schließlich profitieren ja beide Spieler davon, wenn der Hilfs-SR seine Aufzeichnungen beendet und auf dem Spieltisch ablegt), müssten dann ja auch beide Spieler mit eine "Null" bestraft werden.
Und das soll der/die Mannschaftsführer veranlassen? Wer soll denn nun entscheiden, welcher Spieler von so einer Handlung mehr oder weniger profitiert? Vollkommen wirklichkeitsfremd!
Volle Zustimmung!
Georg Heinze hat geschrieben: Wenn das auf SR-Lehrgängen so "eingebläut" wird, werden doch sicher auch die betr. FIDE-Regeln oder die entsprechenden Stellen des FIDE-Handbook genannt? Oder ist das eine von den Festlegungen, wie man es gerne hätte?
Die betreffenden Regeln oder Stellen im Fide-Handbuch werden sicher nicht genannt. Ganz einfach deshalb, weil es sie gar nicht gibt. Ich denke, Stringray hat auf seinem letzten Lehrgang etwas missverstanden. Anders kann ich mir so einen Unsinn nicht erklären!
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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von thomas.soergel » 21.11.2011, 13:07

In bin weitgehend der Ansicht von Stingray, allerdings sollte man die Situation berücksichtigen. Es gibt durchaus Fälle, wo beiden Spielern offensichtlich ist, dass der 40. Zug absolviert ist. Etwa, wenn der Spieler zumindest strichelt. Weiter auch, wie übersichtlich die Stellung ist und wieviel Bedenkzeit noch verbleibt. In solchen Fällen kann ein Punktabzug tatsächlich überzogen sein.
Anders der Fall, wenn die Stellung noch kompliziert ist und die Zugzahl dem Spieler völlig unbekannt ist. Nehmen wir an, der in Zeitnot befindliche Spieler hat zwar Materialvorteil, befindet sich aber in der Verteidigung und es gibt nur einen schwer zu findenden 41. Zug, der alles abwehrt. Hier macht es doch einen Unterschied, ob der Spieler weiß, dass er in Ruhe rechnen kann oder ob er es nicht weiß, glaubt, noch in Zeitnot zu sein und dann den Verlustzug ausführt. Hier kann nur der Partieverlust die einzig sinnvolle Bestrafung sein, denn wenn der Spieler den entscheidenden Zug gefunden hat, wird es ihm mit z.B. einer Figur mehr egal sein, ob er noch 1 h oder 30 Minuten Restbedenkzeit hat.
Die Information, die der Spieler verbotenerweise bekommt ist ähnlich der eines eingesagten Zuges durch einen Mannschaftskameraden.
Letztere gelten als Zuschauer, denen man sicherlich hier Parteilichkeit unterstellen darf. Wenn der Spieler deren Hilfe nutzt, ist er zu bestrafen.
In einem Mannschaftskampf ohne neutralen SR obliegt es dem aus der TO bestimmten SR, bei Zeitnot entweder selber die Zeitkontrolle zu überwachen oder einen geeigneten Spieler einzuteilen, der damit auch SR-Funktion hat. Es ist Aufgabe des Vereins, solche Spieler entsprechend regeltechnisch zu schulen und ihnen klar zu machen, was bei einem Fehlverhalten passieren kann.
Wenn ein solcher Spieler eine SR-Funktion ausführt und sich hier grob regelwidrig verhält, dann kann er vom Spielleiter zusätzlich bestraft werden. Wobei der Punktverlust Strafe genug sein sollte.
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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von Georg Heinze » 21.11.2011, 23:49

Die Argumentation von thomas.soergel hat einen sinnvollen, rationalen Kern.
Was aber wichtig ist: man sollte nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen, sprich: man sollte die Kirche im Dorf lassen!
Es kommt auf die konkrete Situation an. Wenn es aber völlig klar ist, dass z.B. die Zügezahl erfüllt ist, kann ich nicht mit Partieverlust bestrafen. Außerdem bleibt immer die Frage, welcher Spieler davon profitiert, wenn der SR oder Hilfs-SR das Mitschreiben einstellt. Es kann der eigene Spieler sein, aber genau so gut der gegnerische. Und es macht schon einen Unterschied, ob ich einen Zug vorsage (natürlich an meinen Mannschaftskameraden) oder ob ich sozusagen beiden Spielern durch das Nicht-mehr-Schreiben den Vorteil verschaffe und u.U.sogar der gegnerische Spieler mehr profitiert.
Es ist hier wie bei vielen Entscheidungen sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt.
Eines ist noch wichtig: Bei einem Turnier oder Mannschaftskampf mit einem neutralen SR gilt dessen Entscheidung, wenn sie nicht angefochten wird.
Bei einem Wettkampf ohne neutralen SR sind entweder beide Mannschaftsführer oder der in der Turnierordnung bestimmte, diejenigen, die SR-Aufgaben wahrnehmen. Wenn es aber eine strittige Auffassung gibt (und das wird in solchen Fällen die Regel sein), wird der Sachverhalt (natürlich aus der jeweiligen Sicht) dem Spielleiter bzw. Staffelleiter zur Entscheidung übergeben. Dieser kann sich dann nur auf die jeweiligen Darstellungen stützen, was es ihm natürlich nicht einfacher macht.

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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von Werner » 22.11.2011, 01:01

Georg Heinze hat geschrieben:Die Argumentation von thomas.soergel hat einen sinnvollen, rationalen Kern.
Nicht nur der Kern ist sinnvoll, rational.

Doch leider fehlt eine Bezugnahme auf die konkreten FIDE-Regeln, die eben nur "Zuschauer", aber keine "Parteilichkeit" von Zuschauern oder "Mannschaftskameraden" kennen.

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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von thomas.soergel » 22.11.2011, 11:08

Werner hat geschrieben:Doch leider fehlt eine Bezugnahme auf die konkreten FIDE-Regeln, die eben nur "Zuschauer", aber keine "Parteilichkeit" von Zuschauern oder "Mannschaftskameraden" kennen.
Dies werden die FIDE-Regeln auch nicht hergeben, alleine schon die Differenzierung von Georg Heinze würde das Regelwerk sprengen. Insofern muss hier auf das Vorwort verwiesen werden, dass dem Schiedsrichter bzw. der nachfolgenden Rechtsinstanz (bei Protest) den Auftrag gibt, die konkrete Situation hinsichtlich der unerlaubten Hilfe zu beurteilen.
Noch komplizierter wird die Geschichte bei Einzelturnieren, wenn ein Mitspieler eine solche Information gibt, um vom Punktverlust des Konkorrenten zu profitieren. Im Gegensatz zu einem Mannschaftskampf soll primär nicht der begünstigte Spieler profitieren sondern nur sein Gegner geschädigt werden.
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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von Werner » 22.11.2011, 17:55

Nein, das Vorwort ist nicht dazu gedacht, die Artikel 1 bis 14 auszuhebeln, um zu einem subjektiv gewünschten Ergebnis zu kommen. Spätestens die nachfolgende Rechtsinstanz wird das genauso sehen und eine allein auf dem Vorwort gründende Bestrafung durch den Schiedsrichter aufheben. Wie sich Zuschauer und Spieler zu verhalten haben, ist in den FIDE-Regeln abschließend geregelt, so dass in den hier beschriebenen Sachverhalten überhaupt kein Fall vorliegt, der "nicht durch einen Artikel der Schachregeln genau geklärt" (Vorwort) ist.

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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von thomas.soergel » 22.11.2011, 18:30

Das Vorwort kann in der Tat nicht gegen die FIDE-Regeln verwendet werden, es gibt lediglich dem SR oder dem Spielleiter das Recht, dort nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden, wo die FIDE-Regeln Interpretationsspielraum lassen. Zunächst haben wir also Regel 12.3a, die es verbietet, sich irgendwelche Hilfen zu nutze zu machen. Wenn der Spieler nicht mitgestrichelt hat und auf das Aufhören der Mitschrift durch den SR-Mannschaftskameraden plötzlich wieder überlegt anstatt zu blitzen, dann hat er sich diese Hilfe zu Nutze gemacht. Art. 12.7 gibt dem SR die Palette der Bestrafungsmöglichkeiten aus Art. 13.4 an die Hand, beschreibt aber für diesen Fall nicht, was genau für eine Maßnahme auszusprechen ist.
Hier kommt eben das Vorwort ins Spiel, welches auch für den Spielleiter gilt, der über einen Protest zu entscheiden hat. Es sagt lediglich aus, dass hier der spezielle Einzelfall zu bewerten ist, wenn eine Maßnahme aus 13.4 zur Anwendung kommen soll.
Das Ausgangsbeispiel ist sowieso komplizierter, sofern man zu dem Ergebnis kommt, dass der mitschreibende Spieler als Schiedsrichter fungiert hat. Bekanntlich darf der SR jederzeit einen "geeigneten" Spieler zur Kontrolle der Zeitnotphase abkommandieren, dieser Spieler ist dann für diesen Zeitraum SR mit allen Rechten und Pflichten. Wenn ein SR sich selbst falsch verhält, dann wird wohl der Spielleiter eine Entscheidung treffen müssen, sofern die entsprechende TO einen Protest zuläßt.
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Re: Mitschreiben in Zeitnot

Beitrag von Georg Heinze » 22.11.2011, 21:07

Nach den letzten Beiträgen sind wir wieder da, wo wir schon mal waren: Ist für das Fehlverhalten des Hilfs-SR ein Spieler (oder beide) zu bestrafen und wenn ja, wie.
Wenn wir uns da schon im SRK-Forum nicht einig sind, wie soll da ein Mannschaftsführer vor Ort, der SR-Aufgaben wahrnimmt, das Richtige tun? Er muss sich ja bei jeder Maßnahme mit dem gegnerischen MF einig sein, ansonsten kommen die jeweiligen Standpunkte auf den Spielbericht und ein Spielleiter soll dann aus der Ferne entscheiden? Das kann es wohl auch nicht sein.
Was ich bisher in dieser Hinsicht erlebt habe, ist, dass mit dem Betreffenden ein ernstes Wort gesprochen wird, sprich, es gibt eine Ermahnung.
Noch ein Wort zu der Aussage von thomas.soergel
Wenn der Spieler nicht mitgestrichelt hat und auf das Aufhören der Mitschrift durch den SR-Mannschaftskameraden plötzlich wieder überlegt anstatt zu blitzen, dann hat er sich diese Hilfe zu Nutze gemacht.
Erstens: es gibt auch andere Möglichkeiten außer dem Stricheln.
Zweitens: es könnte ja auch der gegnerische Spieler sein oder beide.
Das Dilemma ist es oftmals, dass die FIDE-Regeln beschreiben, was sein müsste, aber nicht, wenn dem nicht so ist.
Da ist Erfahrung und Fingerspitzengefühl des SR gefragt oder eben desjenigen, der diese Aufgabe wahrnimmt.

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