Handy und "Fair Play"

Werner
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Handy und "Fair Play"

Beitrag von Werner » 19.03.2015, 22:57

http://www.schach-welt.de/BLOG/blog/auf ... genheit-an

Die Partie wurde für verloren erklärt, weil der Spieler ein Handy ohne Akku im Wintermantel in der Ecke des Raumes verstaut hatte.

Die Turnierausschreibung

http://www.pfalzopen.de/images/Ausschreibung-2015.pdf

enthielt den ausdrücklichen Hinweis:

Keine Mobilfunkgeräte im Turniersaal erlaubt!

Wahrheitsgemäß antwortete Herr S., dass er den Akku, den er dem Handy entnahm, in der Hosentasche hätte, und sich das Gerät im Mantel an der Garderobe befände. Auf Anweisung des Schiedsrichters zeigte er diesem die Gegenstände. „Sie wissen, dass Sie kein Handy mit sich im Turniersaal führen dürfen?“ „Nein, mir ist nur bekannt, dass man verliert, wenn es klingelt. Es ist ausgeschalten und funktionsunfähig.“ „Schon das Mitführen des Handys führt zu Partieverlust“ blieb der Schiedsrichter unbeirrt, „das hätten Sie wissen müssen, wir haben es bei der Turniereröffnung mitgeteilt.“ „Ich war aber nicht bei der Eröffnungsveranstaltung. Es war zu eng, man hat nichts gehört.“ Herr S. versuchte, den Schiedsrichter von seinem unlauteren Verhalten zu überzeugen.


Ich habe mich mit einem befreundeten FIDE-Schiedsrichter über den Fall unterhalten, und der sieht sehr wohl Möglichkeiten zur Interpretation in den Statuten der FIDE, die dem Schiedsrichter Eigenverantwortung bieten, die ein fallgerechtes Abwägen erlauben. So steht in Art. 11.3 b [...] „wenn es offenbar ist, dass ein Spieler ein solches [z. B. Handy] Gerät in das Turnierareal gebracht hat, verliert er die Partie. [...] Das Turnierreglement kann eine weniger strenge Bestrafung vorsehen.“ Gerade dieser Nachsatz lässt dem Schiedsrichter Freiheiten. Offenkundig wird dieser von vielen Schiedsrichtern überlesen.


Oder unter
- Art. 12.2 steht:
Der Schiedsrichter,
a) sorgt für faires Spiel
b) handelt im besten Interesse der Veranstaltung
Man muss also nicht strikt Regeln befolgen – was für die Schiedsrichter freilich oft das einfachste wäre! – sondern ist gar angehalten zum Abwägen, zum eigenverantwortlichen Entscheiden im Sinne von fair-play und zum Wohle der Gesamtveranstaltung.

hoppepit
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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von hoppepit » 20.03.2015, 13:39

Das ist heftig!
Halte ich persönlich für ein wenig über das Ziel hinausgeschossen.
Gruß, Peter
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Werner
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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von Werner » 20.03.2015, 14:55

hoppepit hat geschrieben:Halte ich persönlich für ein wenig über das Ziel hinausgeschossen.
Wer ist übers Ziel hinausgeschossen:

- die FIDE, die für das bloße Mitsichführen grundsätzlich Partieverlust vorsieht?

- der Veranstalter, der Mobilfunkgeräte ausdrücklich ausgeschlossen und davon abgesehen hat, Möglichkeiten zum Wegschließen der Handys zu schaffen oder wenigstens eine mildere Strafe als den Partieverlust ins Reglement aufzunehmen?

- oder der Schiedsrichter, die die bestehenden Regeln angewendet hat?

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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von hoppepit » 20.03.2015, 18:29

Werner hat geschrieben: Wer ist übers Ziel hinausgeschossen:

- die FIDE, die für das bloße Mitsichführen grundsätzlich Partieverlust vorsieht?

- der Veranstalter, der Mobilfunkgeräte ausdrücklich ausgeschlossen und davon abgesehen hat, Möglichkeiten zum Wegschließen der Handys zu schaffen oder wenigstens eine mildere Strafe als den Partieverlust ins Reglement aufzunehmen?

- oder der Schiedsrichter, die die bestehenden Regeln angewendet hat?
Die FIDE trifft da keine Schuld, die erlaubt dem Veranstalter mildere Strafen festzulegen als Partieverlust.

Der Veranstalter sollte, wenn er Handys strikt verbietet, eine Aufbewahrungsmöglichkeit anbieten (was aber auch problematisch sein kann).

Bleibt noch der SR-Kollege, dem imho hier das Fingerspitzengefühl gefehlt hat.
Gruß, Peter
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Werner
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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von Werner » 22.03.2015, 00:00

hoppepit hat geschrieben:Der Veranstalter sollte, wenn er Handys strikt verbietet, eine Aufbewahrungsmöglichkeit anbieten (was aber auch problematisch sein kann).
Wie soll der Veranstalter eine Aufbewahrungsmöglichkeit für 452 (= Anzahl der Teilnehmer) Handys schaffen?

Einen extra Container mieten und einen Mitarbeiter anstellen, dessen einzige Aufgabe die Annahme bzw. Rückgabe der Handys ist, evtl. mit Bons wie bei der Garderobe in der Staatsoper?
hoppepit hat geschrieben:Bleibt noch der SR-Kollege, dem imho hier das Fingerspitzengefühl gefehlt hat.
Die Regularien gewährtem dem Schiedsrichter keinen Spielraum, keine andere Möglichkeit als die Verlustentscheidung.

Wer hier als Schiedsrichter anderer Meinung ist, müsste seine Entscheidung schon begründen, statt den schwammigen Begriff des "Fingerspitzengefühls" - der den Regeln übrigens fremd ist - zu bemühen.

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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von dfuchs » 23.03.2015, 22:28

Hi zusammen,

jetzt kommt es darauf an was der Veranstalter wirklich will (er ist ja der, der den Schiedsrichter bezahlt). Wenn er wirklich ein striktes Handyverbot will, dann hat der Schiedsrichter alles richtig gemacht.
Wenn er an einer Lösung trotz strenger Regel im Sinne der Spieler interessiert ist, dann könnte man in den Fall auch sagen, dass kein Handy in den Turniersaal gebracht wurde.
Was man mitgebracht hat, ist eine funktionslose Hülle und eine Batterie.

Grüße Daniel

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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von Daniel Hendrich » 26.03.2015, 19:24

Eine kleine Hintergrundinfo von einem der Schiedsrichter des Turniers:

Es wurde bei der Begrüßung explizit darauf hingewiesen, dass in der 1. Runde (und zwar nur in dieser) ausnahmsweise eine Möglichkeit besteht, das elektronische Kommunikationsmittel bei der Turnierleitung zu hinterlegen. Davon haben auch ca. 25 Teilnehmer Gebrauch gemacht. Der Hinweis auf diese Möglichkeit stand auch in den im ganzen Turnierareal mehrfach ausgehängten Turnierregeln.
Daniel Hendrich

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Georg Heinze
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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von Georg Heinze » 28.03.2015, 17:14

Das, was mit dem "Handyparagraphen" ursprünglich beabsichtigt war, pervertiert immer mehr zum "Punktebeschaffer".
An sich sollten Störungen durch das Handyklingeln vermieden werden - das ist im hier vorliegenden "Fall" ausgeschlossen.
Dann geht es um Betrugsversuche - auch das ist mit einem Handy ohne Akku nicht möglich.
Was bleibt, ist die unglückliche Formulierunf in den FIDE-Regeln und die Festlegung und Bezugnahme darauf in der Ausschreibung.
Sicher hat der SR mit seiner Begründung zum Spielverlust nicht ganz unrecht. Er hat sicher auch nicht die Ausschreibung gemacht.
Allerdings halte ich es eher mit Daniel und hoppepit.
Man kann die Sache auch mit "Fingerspitzengefühl" und nicht mit der Keule behandeln.
Es ergibt sich eine ganz andere Frage: wann ist ein Handy ein Handy? Nur die Hülle an sich oder ein Imitat kann es wohl nicht sein?!

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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von dfuchs » 29.03.2015, 11:48

Moment leg mir nicht Sachen in den Mund, die ich nicht gesagt habe.

Wenn der Veranstalter eine rigorose kein Handy Politik verfolgt und ich dort Schiedsrichter bin, dann hätte ich ganz genau so entschieden.

Die einzige Frage, die ich aufgeworfen habe ist, ob die Ausschreibung auch so gelebt wird, wie sie da steht. Passiert das, hat der Schiedsrichter zweifellos alles richtig gemacht.

Grüße Daniel

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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von realpatzer » 10.05.2015, 10:28

Die Sache geht mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wenn man den Spieler mit funktionsunfähigen Handy schon nullt, sollte sein Gegner den Punkt aber auch nicht bekommen. Er hätte am Anfang der Partie seinen Gegner darauf hinweisen müssen, dass sein Verfahren nicht den Turnierregeln genügt. Aber erst spielen und dann den Notausgang nehmen, als es nicht wie erhofft läuft halte ich für grob unsportlich.

Gruß Burkhard
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Werner
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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von Werner » 15.05.2015, 20:12

realpatzer hat geschrieben:Er hätte am Anfang der Partie seinen Gegner darauf hinweisen müssen, dass sein Verfahren nicht den Turnierregeln genügt. Aber erst spielen und dann den Notausgang nehmen, als es nicht wie erhofft läuft halte ich für grob unsportlich.
Und woraus soll sich ergeben, dass er den Gegner am Anfang auf dessen Regelverstoß hätte hinweisen müssen? Steht das irgendwo?
Wer hat ihm denn den "Notausgang" in die Hand gegeben? Das war doch sein Gegner, der sich weder um FIDE-Regel noch um die Ausschreibung gekümmert hat.

Ist es Dir noch nie so gegangen, dass du gezögert hast, einen Regelverstoß des Gegners sofort zu monieren?

Wenn ein Spieler im 35. Zug die Zeit überschreitet, sein Gegner aber zunächst weiterspielt, weil er hofft, ihn schön mattsetzen zu können, was dann leider doch nicht klappt, ist es dann auch "unsportlich", erst im 39. Zug das gefallene Blättchen zu reklamieren?

Georg Heinze
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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von Georg Heinze » 17.05.2015, 10:55

Wir befinden uns hier im SRK-Forum und da gibt es nur eine Sichtweise: der SR hat so gehandelt, wie er aufgrund der Situation handeln musste.
Wären wir in einem Forum, dass sich "Anstand und Moral" nennt, würde ich sagen, dass der junge Spieler, der zwar wusste, dass sein Gegner ein nicht funktionsfähiges Handy mitführte, dieses aber nicht benutzte (benutzen konnte), sich das 1-zügige matt nicht hätte zeigen lassen, sondern dem Gegner zum Sieg gratuliert hätte.
Das wäre menschliche Größe gewesen. Das lernt der junge Mensch noch (oder auch nicht).

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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von realpatzer » 02.06.2015, 18:44

Werner hat geschrieben:...
Und woraus soll sich ergeben, dass er den Gegner am Anfang auf dessen Regelverstoß hätte hinweisen müssen? Steht das irgendwo?
Wer hat ihm denn den "Notausgang" in die Hand gegeben? Das war doch sein Gegner, der sich weder um FIDE-Regel noch um die Ausschreibung gekümmert hat.

Ist es Dir noch nie so gegangen, dass du gezögert hast, einen Regelverstoß des Gegners sofort zu monieren?

Wenn ein Spieler im 35. Zug die Zeit überschreitet, sein Gegner aber zunächst weiterspielt, weil er hofft, ihn schön mattsetzen zu können, was dann leider doch nicht klappt, ist es dann auch "unsportlich", erst im 39. Zug das gefallene Blättchen zu reklamieren?
ad.1 Meine Wortwahl war vielleicht nicht ok. - sagen wir: Er hätte seinen Gegner hinweisen sollen.

Ich wollte nur ausdrücken, dass ich großes Unbehagen in der Behandlung der ganzen Sache habe. Sie widerspricht eindeutig dem Sportsgeist und könnte das Ansehen des Schachspiels schmälern. Zugegeben ein ganz dünner Versuch noch etwas in den Regeln zu finden, dass meine Ansicht stützt.
Problematisch finde ich, dass gerade der Handy-Paragraph in der letzten Zeit immer wieder geändert wurde und in verschiedenen Turnieren die unterschiedlichsten Handhabungen verwendet werden. Am gebräuchlichsten ist wohl: ausgeschaltetes Handy in verschlossener Tasche nicht am Mann.
Viele Spieler spielen nur ab und an mal ein Turnier außerhalb des Vereins und da kann schon eine Regelunkenntnis vorliegen.

Meiner Meinung nach sollte in einem solchen Fall - eine zusätzliche Regelung eingebaut werden.
Wenn er den Punkt reklamieren will, dann sofort nach dem ersten Zug.
Hmm. Ich sehe ein, dass ich mich hier auf ganz dünnem Eis bewege. Aber eine Regelauslegung sollte kein solches Unbehagen hinterlassen.

ad.2 Das der Gegner nicht regelkonform gehandelt hat steht außer Frage.
ad.3 Wenn ich einen Regelverstoß nicht sofort moniere, wenn ich ihn bemerke, unterlasse ich es später auch.
ad.4 Dein Zeitnotbeispiel geht am Thema vorbei.
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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von Holger » 08.06.2015, 11:16

gelöscht
Zuletzt geändert von Holger am 21.06.2015, 13:48, insgesamt 1-mal geändert.

dfuchs
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Re: Handy und "Fair Play"

Beitrag von dfuchs » 09.06.2015, 11:42

Ich finde diese Regelauslegung nicht gut.
Es gibt Regeln, die einee zeitliche Nähe der Reklamation vorschreiben (Berührt geführt). Diese hier tut es nicht.
Natürlich sollte zwischen der Tat und der Reklamation möglichst kurze Zeit vergehen, aber man muss auch sehen, dass nicht jeder die Regeln kennt.

Ergo sollte als zeitlicher Maßstab eher gelten, dass die Reklamation zeitnah in dem Bemerken der Tat und dem Bemerken der Strafwürdigkeit der Tat liegt.

Wenn ein Spieler den irregulären Zug des Gegners erst 5 Züge später bemekt, nehme ich die Reklamation trotzdem an.
Wenn ein Spieler aus Unwissenheit darüber, dass die Rochade durchs Schach nicht statthaft ist, erst nach 2 Stunden reklamiert, dann nehme ich die Reklamation dennoch an.

Wer sagt denn, dass dem Jungen die Strafbarkeit des Handelns seines Gegners früher bekannt war?

Ich meine es gab ja eine Ausnahmeregelung für die erste Runde. Das diese aber nur den Aufbewahrungsort des Handy betraf, nicht aber die Strafe, wusste er vielleicht nicht. Und der Vater hat das erst während der Partie (übrigens nicht ein Zug vor dem Matt!) erfahren und seinem Sohn mitgeteilt.

Wir wissen es nicht.

Daher sollten wir dabei bleiben und vermeindlich unsportliches Verhalten nur dann ahnden, wenn es wirklich unzweifelhaft unsportlich war und nicht, weil man es so interpretieren kann, als wäre es unsportlich.

Grüße Daniel

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