Info über Zahl der gespielten Züge - Verstoß gg Art. 12.2a)?

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Werner
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Info über Zahl der gespielten Züge - Verstoß gg Art. 12.2a)?

Beitrag von Werner » 17.04.2008, 10:47

Um die erhitzten Gemüter ein wenig abzukühlen, hier ein Sachverhalt, wie man ihn - so oder ähnlich - auch in höheren Spielklassen immer wieder erlebt.

Mannschaftskampf in der dritthöchsten Spielklasse.
Beide Spieler befinden sich vor der 1. Zeitkontrolle in Zeitnot, schaffen es aber, vollständig mitzuschreiben.
Am Nebentisch sitzt der Schiedsrichter und beobachtet die Partie, die als einzige noch nicht beendet ist, und schreibt vorsichtshalber ebenfalls mit.
Schwarz führt auf dem Brett den 40. Zug aus und drückt die Uhr.
Weiß hat noch ca. 1 Minuten Bedenkzeit, schaut erst auf die Uhr, dann auf sein Formular, blickt dann auf, schaut den Gegner an und fragt:
"Die 40 Züge haben wir doch geschafft, oder?!"
und sieht dann fragend den Schiedsrichter und seine umherstehenden Mannschaftskameraden an.

Der Schiedsrichter antwortet:
"Dazu kann ich jetzt nichts sagen."
Schwarz sagt daraufhin:
"Ja, wir haben vierzig Züge",
steht auf und geht zum Verpflegungsbereich, um sich ein Getränk zu holen.
Kurz danach fällt das Blättchen von Weiß, und die Partie nimmt ihren Fortgang.

Wie ist das Verhalten
a) von Weiß
b) des Schiedsrichters
zu beurteilen?

Georg Heinze
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Beitrag von Georg Heinze » 17.04.2008, 12:23

Für den hier geschilderten Sachverhalt sind folgende FIDE-Regeln maßgeblich:
13.6 Der Schiedsrichter darf nicht in eine Partie eingreifen, außer in den Fällen, die in den Schachregeln erwähnt sind. Er gibt die Zahl der gespielten Züge nicht bekannt, außer in Anwendung von Artikel 8.5, wenn mindestens ein Fallblättchen gefallen ist.

12.2 a) Während des Spielverlaufs ist es den Spielern verboten, sich irgendwelche Notizen, Informationsquellen oder Ratschläge zunutze zu machen oder auf einem anderen Schachbrett zu analysieren.

13.7 a) Zuschauer und Spieler anderer Partien dürfen nicht über eine Partie reden oder sich auf andere Weise einmischen. Falls nötig, darf der Schiedsrichter die Störer aus dem Turnierareal weisen.
Zur Frage a)
weiß hätte also (wie auch andere Spieler oder Zuschauer) sich nicht äußern dürfen.
Die Bestrafung liegt im Ermessen des Schiedsrichters.

Zur Frage b)
Der Schiedsrichter hat sich korrekt verhalten

Das ist die Theorie.
In der Praxis hört man aber öfters: "geschafft" oder ähnliche Äußerungen, die aber meist nicht als Information, sondern mehr als Erleichterungsausruf zu verstehen sind. Im Normalfall wird es dann auch der SR bei einer geringeren Strafe, z.B. einer Verwarnung bewenden lassen.

thomas.soergel
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Juristerei oder gesunder Menschenverstand?

Beitrag von thomas.soergel » 17.04.2008, 12:27

Die Fragestellung ist auch für mich nicht so klar, je nachdem, ob bei beiden Mannschaften die Protestmeier oder die Sportfreunde das Sagen haben.

Zunächst einmal hat der SR völlig korrekt gehandelt, Art. 13.6 führt klar aus: ...Er gibt die Zahl der gespielten Züge nicht bekannt, außer in Anwendung von Artikel 8.5 wenn mindestens ein Fallblättchen gefallen ist. ...

Die naive Frage des Spielers "Haben wir schon 40 Züge?" darf ein Schiedsrichter nicht beantworten, dieses sollte dann auch bedeuten, dass es ein anderer Spieler oder Zuschauer erst recht nicht darf.

Es handelt sich um eine wesentliche Information, denn der Spieler weiß im Extremfall nicht, ob er für einen möglicherweise partieentscheidenden Zug noch mehr als die eine Minute überlegen darf oder nicht.

Wenn er so eine Information erfragt und bekommt, dann macht er sich eines Verstoßes gegen Artikel 12.2a) schuldig, er nutzt ja eine fremde Informationsquelle. Diese kann der eigene Mitspieler, aber auch der Gegner sein.

Glücklicherweise lässt aber Artikel 13 dem Schiedsrichter vollkommen freie Hand, wie er den Verstoß bewertet. Würde die Information von einem Mitspieler kommen, könnte dieser aus dem Turniersaal fliegen, zugleich ist, abhängig von der Stellung von Ermahnung bis Partieverlust alles möglich.
Käme die Information von einem Zuschauer, fliegt dieser ebenfalls. Auch hier ist alles möglich, abhängig von Stellung und vom Status des Zuschauers (Gleicher Verein, neutral, Gegner, Meister oder ...).
Kommt die Information vom Gegner selbst, würde ich persönlich garnichts verhängen (13.4 ist ja eine kann-Vorschrift), denn er ist ja selber Schuld, wenn er sich den Vorteil nimmt.

Erhebt sich nur noch die Frage, was passieren kann, wenn dann die gegnerischen Spieler Protest erheben, weil sich Weiß die Informationen ihres Mitspielers zunutze gemacht hat.
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Beitrag von hoppepit » 17.04.2008, 17:57

Georg Heinze hat geschrieben:Zur Frage a)
weiß hätte also (wie auch andere Spieler oder Zuschauer) sich nicht äußern dürfen.
Die Bestrafung liegt im Ermessen des Schiedsrichters.

Zur Frage b)
Der Schiedsrichter hat sich korrekt verhalten.
Ich denke, damit hat Georg absolut Recht.
Für meinen Teil würde ich den Weißspieler nicht "bestrafen". Das halte ich für übertrieben. Solange kein "Aussenstehender" die Frage beantwortet.

Dann müßte ich ja auch in folgendem Fall eingreifen:
Ein Spieler hat vergessen einen Zug aufzuschreiben und bittet seinen Gegner um dessen Partieformular zum Vergleich bzw. Abschreiben. Kommt des Öfteren vor und ich habe bisher noch keinen Fall erlebt, wo der Gegner das verweigert hat.
Gruß, Peter
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Die Zeitnot ist das Kriterium

Beitrag von thomas.soergel » 17.04.2008, 19:11

hoppepit hat geschrieben:Dann müßte ich ja auch in folgendem Fall eingreifen:
Ein Spieler hat vergessen einen Zug aufzuschreiben und bittet seinen Gegner um dessen Partieformular zum Vergleich bzw. Abschreiben. Kommt des Öfteren vor und ich habe bisher noch keinen Fall erlebt, wo der Gegner das verweigert hat.
Ich denke, in diesem Fall muss man aber davon ausgehen, dass beide Spieler nicht in Zeitnot sind. Gemäß Art. 8.1 sind dann beide ja zur ordnungsgemäßen Aufzeichnung verpflichtet und somit darf sich ein Spieler das Formular des Gegners borgen, um sein eigenes auf Kosten seiner Zeit zu korrigieren.
Ist dieser Spieler hingegen in hochgradiger Zeitnot und daher auch nicht schreibpflichtig, dann kann man über das Einschreiten durchaus nachdenken.
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Beitrag von Eckart » 18.04.2008, 18:16

Im Ausgangsfall hätte auch ich eine Bestrafung für unangemessen gehalten, obwohl ich bereits im Versuch, sich in unstatthafter Weise eine Information zu verschaffen, einen Verstoß gegen Art. 12.2 a) sehe.

Zumindest hätte ich den Spieler nach der Partie darauf hingewiesen, dass sein Verhalten nicht in Ordnung war und in ähnlichen Fällen - wenn nämlich durchaus nicht klar ist, wieviele Züge gespielt sind, oder irgendjemand von den Umstehenden die Zügezahl bekannt gibt - zu viel Verdruss führen kann.

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Re: Die Zeitnot ist das Kriterium

Beitrag von hoppepit » 18.04.2008, 18:31

thomas.soergel hat geschrieben:Ich denke, in diesem Fall muss man aber davon ausgehen, dass beide Spieler nicht in Zeitnot sind. Gemäß Art. 8.1 sind dann beide ja zur ordnungsgemäßen Aufzeichnung verpflichtet und somit darf sich ein Spieler das Formular des Gegners borgen, um sein eigenes auf Kosten seiner Zeit zu korrigieren.
Wobei aber in den Regeln nichts davon steht, ob es in der Zeitnotphase verboten ist und im "normalen" Zeitbereich nicht. Das wird dort meines Erachtens nicht unterschieden.
Also dürfte man da auch nicht mit zweierlei Maß messen?!
Gruß, Peter
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Re: Die Zeitnot ist das Kriterium

Beitrag von thomas.soergel » 19.04.2008, 00:33

hoppepit hat geschrieben:Wobei aber in den Regeln nichts davon steht, ob es in der Zeitnotphase verboten ist und im "normalen" Zeitbereich nicht. Das wird dort meines Erachtens nicht unterschieden. Also dürfte man da auch nicht mit zweierlei Maß messen?!
Ich denke, man muss es dem SR überlassen, die Situation zu beurteilen. Will der Spieler nur seine Notation in Ordnung bringen, weil er sich irgendwo verschrieben hat oder will er in Erfahrung bringen, wieviele Züge noch zu machen sind.
Indikation für den ersten Fall ist, dass dieser Spieler noch ausreichend Bedenkzeit hat und er die Nachschrift auf Kosten seiner Zeit erledigt.
Krasses Bespiel für den zweiten Fall: Der Spieler hat einige Züge nur gestrichelt und möchte plötzlich die Züge nachtragen. Hier würde ich dann schon den Versuch der Informationsbeschaffung vermuten.
Aber es gibt sehr viele Fälle dazwischen, die nur ein SR vor Ort beurteilen kann.
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Beitrag von Frank » 19.04.2008, 18:11

Denke mal es passiert häufig das die Gegner sie so verhalten und sich gegenseitig versichern die Zeitkontrolle geschafft zu haben. So lange sie nachfragen während sie am Zug sind denke ich mal gibt es keinen Grund einzugreifen. Der Gegner müsste ja eh auch sein Formular zur Verfügung stellen wenn er sagt er will seine Mitschrift vervollständigen bzw. kontrollieren.
Der Schiedsrichter antwortet natürlich auf solche Fragen nicht .

Gruß Frank

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