Kollision Art. 4.7 und 7.4 a) ??

hoppepit
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Kollision Art. 4.7 und 7.4 a) ??

Beitrag von hoppepit » 04.05.2008, 13:37

Hallo Kollegen,
beim "Studium" der FIDE-Regeln für die anstehende NSR-Ausbildung ist mir eine Ungereimtheit aufgefallen, aus der ich nicht ganz schlau werde.
Art. 4.7:
4.7. Ein Spieler verliert das Recht, einen Verstoß seines Gegner gegen Artikel 4 zu reklamieren, sobald er absichtlich eine Figur berührt.
Das erweckt den Eindruck, als würde ein regelwidriger Zug legalisiert, sobald der Gegner ein Figur berührt. In Verbindung mit Anhang B + C (Schnell- und Blitzschach) ist die Sache ja auch schlüssig und macht Sinn. Aber wieso steht der Passus dann nicht im Anhang, sondern vorne bei den "normalen" Partien?
Dort kollidiert er imho mit Art. 7.4 a):
7.4 a) Wenn während einer Partie festgestellt wird, dass ein regelwidriger Zug, unter Einschluss einer Bauernumwandlung oder dem Schlagen des gegnerischen Königs, vollständig abgeschlossen wurde, wird die Stellung unmittelbar vor dem Regelverstoß wiederhergestellt. Falls die Stellung unmittelbar vor dem Regelverstoß nicht bestimmt werden kann, wird die Partie aus der letzten bekannten Stellung vor dem Regelverstoß heraus weitergespielt. Die Uhren werden gemäß Artikel 6.14 gestellt. Artikel 4.3 wird auf den Zug angewandt, der den regelwidrigen ersetzt. Daraufhin wird die Partie aus der so erreichten Stellung heraus weitergespielt.
Dann düfte ja nur noch der SR einen solchen Regelverstoß feststellen, wenn der Spieler nach Art. 4.7 das Recht dazu verloren hat?!
Ich denke jedoch, daß kein SR noch während der Partie von sich aus alle Züge auf ihre Richtigkeit überprüft.

Wie seht ihr das?
Gruß, Peter
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Werner
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Re: Kollision Art. 4.7 und 7.4 a) ??

Beitrag von Werner » 04.05.2008, 14:16

[quote="hoppepit"]
[quote]4.7. Ein Spieler verliert das Recht, einen Verstoß seines Gegner gegen Artikel 4 zu reklamieren, sobald er absichtlich eine Figur berührt.[/quote]
Das erweckt den Eindruck, als würde ein regelwidriger Zug legalisiert, sobald der Gegner ein Figur berührt.[/quote]

Nein, Artikel 4 betrifft nur die "Berührt-geführt-Regel" im weitesten Sinne, mit "regelwidrigen Zügen" im Sinne von Art. 7.4 (wie z. B. Sc4 nach e6, La3 nach g8 usw.) hat Art. 4.7 nichts zu tun. Art. 4.6 erwähnt auch ausdrücklich "regelgemäße" Züge.

Wenn also z. B. ein Spieler erst Figur A berührt und dann mit Figur B einen Zug ausführt, kann der Gegner dagegen nicht mehr vorgehen, sobald er selbst absichtlich eine Figur berührt.

Das ist die Bedeutung von Artikel 4.7.


Viel Erfolg bei der Ausbildung!

hoppepit
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Re: Kollision Art. 4.7 und 7.4 a) ??

Beitrag von hoppepit » 04.05.2008, 15:34

Werner hat geschrieben:Nein, Artikel 4 betrifft nur die "Berührt-geführt-Regel" im weitesten Sinne, mit "regelwidrigen Zügen" im Sinne von Art. 7.4 (wie z. B. Sc4 nach e6, La3 nach g8 usw.) hat Art. 4.7 nichts zu tun. Art. 4.6 erwähnt auch ausdrücklich "regelgemäße" Züge.
Danke, ich war zuerst etwas verwirrt. Jetzt bei nochmaliger Betrachtung wird mir das auch klar.
Gruß, Peter
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Georg Heinze
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Beitrag von Georg Heinze » 04.05.2008, 20:01

Werner schrieb:
Wenn also z. B. ein Spieler erst Figur A berührt und dann mit Figur B einen Zug ausführt, kann der Gegner dagegen nicht mehr vorgehen, sobald er selbst absichtlich eine Figur berührt.
Das ist soweit ok.
Es wurde aber auch nach dem SR gefragt. Der sollte (muss!) eingreifen, wenn er Obiges feststellt, denn es wäre ja ein Verstoß gegen 4.3 bzw. 4.4.

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Beitrag von Werner » 04.05.2008, 22:50

Ich denke nicht, dass der Schiedsrichter auch noch dann einzugreifen berechtigt ist, nachdem der Gegner des gegen Artikel 4 verstoßenden Spielers sein Reklamtionsrecht verloren hat.

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Gute Frage

Beitrag von thomas.soergel » 05.05.2008, 08:37

Werner hat geschrieben:Ich denke nicht, dass der Schiedsrichter auch noch dann einzugreifen berechtigt ist, nachdem der Gegner des gegen Artikel 4 verstoßenden Spielers sein Reklamtionsrecht verloren hat.
Die Herleitung, dass ein SR Verstöße gegen 4.3 und 4.4 ahnden muss, leitet sich ja davon ab, dass in den Schnellschachregeln dieser Eingriff untersagt wird. Wenn es in den Schnellschachregel explizit verboten wird, dann muss es ja bei Wettkampfpartien Pflicht sein.
Artikel 4.7 schließt aber lediglich beim Spieler ein solches Recht aus, nicht jedoch beim SR.
Vorkommen kann es jedoch, etwa in der Zeitnotphase. Spieler A langt was an, zieht was anderes, Spieler B reklamiert nicht, weil der Zug entweder Schrott war oder er zu beschäftigt ist, seine Züge zu schaffen, zieht also selbst, bevor der SR eingreifen kann.
Die damit entstehende Aufregung kann man sich vorstellen...
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Beitrag von Werner » 05.05.2008, 09:17

... Spieler B fasst auch schon eine Figur an, wird dann gewahr, dass zuvor Spieler A gegen Artikel 4 verstoßen hat und holt den Schiedsrichter herbei:
"Lieber Schiedsrichter, ich darf den Verstoß von Spieler A nicht mehr rügen, da ich selber schon absichtlich eine Figur berührt habe, aber für Dich, Schiri, gilt Art. 4.7 nicht, also greif bitte ein und fordere A auf, die zuerst berührte Figur zu ziehen."

So kann Artikel 4.7 wohl kaum gemeint sein.
Ein Recht, das der Spieler VERLOREN hat, kann dem Schiedsrichter auch nicht mehr zustehen.

Werner
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Beitrag von Werner » 05.05.2008, 09:27

... oder Spieler B antwortet sofort mit einem Zug, durch den A matt gesetzt wird, bevor der Schiedsrichter eingreifen und von A einen Zug mit der zuvor berührten Figur einfordern kann.

Was jetzt?
Partieende durch Matt oder Korrektur des vom Schiedsrichter zuvor beobachteten Verstoßes gegen Artikel 4?

Georg Heinze
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Beitrag von Georg Heinze » 05.05.2008, 09:33

Man muss unterscheiden, ob der SR den Regelverstoß selbst beobachtet oder nicht. Es ist die PFLICHT des SR bei Regelverstößen einzugreifen.
Nochmals:
4.7 Ein Spieler verliert das Recht, einen Verstoß seines Gegners gegen Artikel 4.3 oder 4.4 zu reklamieren, sobald er absichtlich eine Figur berührt hat.
Ausdrücklich ist hier vom Spieler die Rede und nicht vom SR!
Kommentar vom Int. Schiedsrichter Markus Keller zu diesem Artikel:
Der Schiedsrichter (so er dies sieht) muss eingreifen, falls "berührt – geführt" nicht beachtet wird.
Ich denke, das ist klar und eindeutig.

Werner
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Beitrag von Werner » 05.05.2008, 10:19

Zu der hier aufgeworfenen Frage, ob der Schiedsrichter noch einzugreifen berechtigt ist, nachdem der Spieler das Reklamationsrecht verloren hat, hat Markus Keller aber nichts gesagt, insbesondere hat er Art. 4.7 nicht erwähnt, seiner Äußerung liegt offensichtlich ein ganz anderer Sachverhalt als der hier erörterte zugrunde.

Art. 4.7 wäre gegenstandslos, wenn der Spieler ihn durch Anrufung des Schiedsrichters in der von mir beschriebenen Weise umgehen könnte.

Art. 4.7 beschreibt kein originäres Recht des Schiedsrichters, dieser hat lediglich Rechte der Spieler durchzusetzen. Deshalb kann auch der Schiedsrichter nicht mehr wirksam eingreifen, nachdem der Spieler sein Reklamationsrecht verloren hat.

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Was der SR nicht sieht...

Beitrag von thomas.soergel » 05.05.2008, 11:24

Werner hat geschrieben:Zu der hier aufgeworfenen Frage, ob der Schiedsrichter noch einzugreifen berechtigt ist, nachdem der Spieler das Reklamationsrecht verloren hat, hat Markus Keller aber nichts gesagt, insbesondere hat er Art. 4.7 nicht erwähnt, seiner Äußerung liegt offensichtlich ein ganz anderer Sachverhalt als der hier erörterte zugrunde.
...
Art. 4.7 beschreibt kein originäres Recht des Schiedsrichters, dieser hat lediglich Rechte der Spieler durchzusetzen. Deshalb kann auch der Schiedsrichter nicht mehr wirksam eingreifen, nachdem der Spieler sein Reklamationsrecht verloren hat.
Ich denke, Sfr. Heinze hat doch klar beschrieben, dass der SR von sich aus Art. 4.3 und 4.4 durchsetzen muss, wenn er selbst das Vergehen sieht. Artikel 4.7 schützt eine SR lediglich vor einer Flut ggf. nicht nachweisbarer Verstöße oder den Versuchen, die Partie quasi nochmal zu spielen, falls das Ergebnis dem reklamierenden Spieler nicht genehm ist. Dieser Artikel geht davon aus, dass ein SR nicht am Brett dabeigestanden ist, was ja eher die Regel ist.
Somit reduziert sich das Ganze m.E. auf folgende Fälle:
a) Spieler A verstößt gegen Artikel 4.3/4.4, Spieler B zieht und kein SR hat dies mitbekommen. In diesem Fall greift 4.7 und es geht ohne Korrektur weiter, auch wenn einer der beiden Spieler zum SR rennt
b) Spieler A verstößt gegen Artikel 4.3/4.4, der SR beobachtet dies und greift ein, bevor Spieler B seinen Zug ausgeführt hat. In diesem Fall muss Spieler A die Anforderungen von Artikel 4 erfüllen.
c) Wie b), aber bevor der SR zum Eingreifen kommt, führt Spieler B einen Zug aus. Hier lässt sich jetzt streiten, was passiert, wenn
c1) dieser Zug das Partieende herbeiführt (Matt, Patt etc.)
c2) dieser Zug das Partieende nicht herbeiführt
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Beitrag von Georg Heinze » 05.05.2008, 12:28

Werner schreibt:
Art. 4.7 beschreibt kein originäres Recht des Schiedsrichters, dieser hat lediglich Rechte der Spieler durchzusetzen.
Auf welchem Lehrgang hat Werner das nur gelernt?
Außer dem schon im Vorwort Stehendem empfehle ich noch folgenden Artikel:
13.1 Der Schiedsrichter achtet auf striktes Einhalten der Schachregeln.
Das von thomas.soergel unter a) und b) Geschriebene stützt das von mir bereits Ausgeführte.
Lediglich zu c) wäre Diskussionsbedarf.
Ähnliches hatten wir schon, wenn das Blättchen fällt und bei der Rekonstruktion illegale Züge festgestellt werden.
Allerdings ist hier die Situation etwas anders. Wenn Spieler B schnell genug zieht und es ist matt, ehe der SR etwas sagen kann, da bin ich schon der Meinung, dass erst ein regulärer Zug gemacht werden muss und dann geht es weiter.

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Beitrag von thomas.soergel » 05.05.2008, 12:59

Georg Heinze hat geschrieben:...Wenn Spieler B schnell genug zieht und es ist matt, ehe der SR etwas sagen kann, da bin ich schon der Meinung, dass erst ein regulärer Zug gemacht werden muss und dann geht es weiter.
Da bin ich auch Deiner Meinung. Angenommen, dass der trotz Verstoß gegen 4.3/4.4 gemachte Zug regulär war, muss einem SR doch zugebilligt werden, dass er eine gewisse Reaktionszeit benötigt. Wenn beide Spieler in Zeitnot blitzen, besteht durchaus die Möglichkeit, dass sein "Stop" erst kommt, wenn seinen Zug schon ausgeführt hat. Wäre interessant, wie hier die Lehrmeinung ist.
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Beitrag von Eckart » 05.05.2008, 23:38

Werner hat völlig recht.
Die Frage, ob der Schiedsrichter bei Verstößen eines Spielers gegen Artikel 4 nur auf Antrag oder von Amts wegen einzuschreiten hat, hat nichts damit zu tun, was geschehen soll, wenn der Gegner auf einen solchen Verstoß hin selbst eine Figur absichtlich berührt, bevor der SR eingreift.
Wenn ein Spieler sein Reklamationsrecht verloren hat, besteht kein Recht mehr, das der Schiedsrichter durchzusetzen verpflichtet oder berechtigt wäre. Auf das Argument, dass der Spieler bei anderer Auslegung Art. 4.7 umgehen könnte, indem er einfach nachträglich den Schiedsrichter bemüht, kam hier keine Antwort.
Man muss sich einmal die Bedeutung von Artikel 4 vor Augen führen, insbesondere von Art. 4.3: der Gegner soll nicht dadurch gestört werden, dass der Spieler eine Figur nach der anderen anfasst, ohne diese zu ziehen. Der Gegner kann jedoch auf die Schutzfunktion dieser Vorschrift verzichten, wie bei Schutzvorschriften im allgemeinen. Und ein Gegner, der einen Spieler, der zuvor gegen Artikel 4.3 verstoßen hat, sofort mit dem Antwortzug mattsetzt, bedarf eines solchen Schutzes nicht. Im Wege der teleologischen Reduktion komme ich zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall das Matt die Partie beendet.

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Re: Was der SR nicht sieht...

Beitrag von Eckart » 05.05.2008, 23:42

thomas.soergel hat geschrieben:Dieser Artikel geht davon aus, dass ein SR nicht am Brett dabeigestanden ist, was ja eher die Regel ist.
Die FIDE-Regeln setzen genau das Gegenteil voraus:

13.3 Der Schiedsrichter beobachtet die Partien...

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