Blindspieler im Mannschaftskampf - wer stellt den Hiwi?

dfuchs
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Beitrag von dfuchs » 12.12.2008, 13:06

Ach ja, die armen Blinden...

In diesem ganzen Themenbereich hier ist doch der sehbehinderte Schachfreund eine völlig neutrale Partei. Die Auseinandersetzung hier betrifft ja nur Veranstalter/Schiedsrichter <=> sehender Spieler.

Der sehende Spieler hat nach meiner (und nicht nur meiner) Interpretation der Regeln ein Recht auf einen Assistenten, welches ihm durch den Veranstalter offensichtlich nicht immer gewährt werden kann.

Der blinde Schachspieler hat weder etwas falsch gemacht, noch wird er bevorzugt oder benachteiligt.

Und genau das und nur das fordert auch der sehende Schachspieler ein, aber nicht von dem sehbehinderten Spieler (gegen diesen hat er auch keine Anspruch), sondern gegen den Veranstalter, der ausnahmsweise und nur in dieser Regel überhaupt Erwähnung findet.

Also, wenn hier für Verständnis gegenüber dem sehenden Spieler geworben wird, so ist das nicht im Vergleich zu sehen mit dem blinden Schachspieler, sondern Verständnis von Seiten des Veranstalters.

Wer ein Schachturnier organisiert, hat nun einmal auf etwas mehr Rücksicht zu nehmen, als nur Spielort und Material und wer das nicht kann, sollte sich Hilfe holen.

Gruß Daniel

Georg Heinze
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Beitrag von Georg Heinze » 12.12.2008, 13:44

dfuchs schrieb:
Wer ein Schachturnier organisiert, hat nun einmal auf etwas mehr Rücksicht zu nehmen, als nur Spielort und Material und wer das nicht kann, sollte sich Hilfe holen.
Im Eingangsthread von stingray ging es um einen Mannschaftskampf in der Oberliga.
Bei Mannschaftskämpfen ist in aller Regel ein Landesverband (oder mehrere) der Veranstalter.
Der Veranstalter ist im Anhang F mit seinen Pflichten benannt:
Die Veranstalter haben das Recht, die folgenden Regeln den örtlichen Umständen anzupassen.
- sonst nichts.
In den weiteren Regeln ist festgelegt, dass sich der sehbehinderte Spieler einen Assistenten einsetzen DARF.
Weiterhin: wenn der sehbehinderte Spieler KEINEN Assistenten hat, darf der sehende Spieler einen Assistenten einsetzen. (alles unter 9. bzw. 9 f)
Ich sehe das alles als klar geregelt - ohne jemand den "Schwarzen Peter" zuzuschieben.

Werner
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Beitrag von Werner » 12.12.2008, 13:53

Ach ja, die armen Sehenden, denen zugemutet wird, gegen einen Blinden anzutreten...

Wer schon durch das Ticken einer analogen Schachuhr "tierisch genervt" wird, für den muss das Spielen gegen einen Blinden wahrlich eine schwere Belastung bedeuten.

Nach meiner (und nicht nur meiner) Interpretation hat der Sehende keinen gegen den Veranstalter gerichteten Anspruch darauf, dass dieser einen Assistenten stellt.
In F2. wird der Veranstalter überhaupt nicht erwähnt, in F1. heißt es lediglich, die Veranstalter haben das Recht, die folgenden Regeln den örtlichen Umständen anzupassen. Selbst wenn man aus F2. den Anspruch auf einen Assistenten ableiten wollte, könnte dies der Veranstalter unter Hinweis auf die "örtlichen Umstände" - dass nämlich der Veranstalter leider keinen Assistenten stellen kann - vollkommen regelkonform verweigern.

dfuchs
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Beitrag von dfuchs » 12.12.2008, 14:54

Eigentlich waren meine Spiele gegen Blinde Schachfreunde immer recht erbaulich und nur weil mir etwas auf die Nerven geht, höre ich dennoch nicht mit dem spielen auf (vielleicht unterscheide ich mich hier vom Durchschnittsspieler).

Ich stimme dir auch zu, dass der Veranstalter dem Spieler dieses Recht verweigern darf unter Hinweis auf die Anpassung (das wurde zum Beispiel in Gmünd so gemacht, dort habe ich das letzte mal gegen einen blinden Schachfreund gespielt) verweigern darf.

Um was es mir geht:
1. Der Spieler hat grundsätzlich das Recht einen Assistenten zu verlangen.
2. Der Veranstalter kann sich da nicht einfach herausreden, nach dem Motto: "mache ma ned".
3. Der Veranstalter hat das Recht, die Regeln anzupassen (wie in F1 vorgesehen), dies muss aber, wie jede andere Abweichung auch VOR dem Turnier, Mannschaftskampf, etc. bekanntgegeben werden.
4. Es ist kein unsportliches Verhalten gegenüber dem sehbehinderten Spieler einen Assistenten zu verlangen.

Gruß Daniel

P.S: Wenn mir etwas auf die Nerven geht, dann versuche ich etwas an der Situation zu ändern. Das hat unserem Verein eine ausreichende Anzahl Digitaluhren, mir eine Schiedsrichterlizenz und so manchem Turnierveranstalter (und Schiedsrichterkollegen) Kopfschmerzen gebracht.
Aber die Situation hat sich in den allermeisten Fällen gebessert.

Georg Heinze
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Beitrag von Georg Heinze » 12.12.2008, 17:26

Jetzt erst verstehe ich dfuchs:
Er ist der Auffassung, dass der Veranstalter VERPFLICHTET ist, einen Assistenten zu stellen.
Aber genau das fordern die FIDE-Regeln nicht. Das hätte dann ganz anders formuliert sein müssen.
Nochmals: wenn der Blinde (oder Sehbehinderte) einen Assistenten benötigt, dann muss ER sich drum kümmern. Gleiches gilt für den Sehenden.
Wie gesagt, ich habe es noch NIE erlebt, dass überhaupt ein Assistent benötigt wird. Falls doch - siehe oben.

Stingray
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Beitrag von Stingray » 13.12.2008, 13:41

Mit dieser Ansicht ist Daniel nicht alleine: http://www.chesscafe.com/text/geurt126.pdf

Ich zitiere mal den wichtigen Absatz:
In my opinion, for cases dealing with Articles 6.8d and 9.1, the player must provide his own assistant. When I take into account all duties of the assistant under Article F9, it is clear that this assistant must be provided by the organizer, because he in fact acts as an assistant arbiter.
In den Artikeln 6.8d und 8.1 ist übrigens im Gegensatz zu Anhang F explizit die Rede von Assistenten, die der jeweilige Spieler mitbringt ("[...]an assistant, who is acceptable to the arbiter, may be provided by the player[...]").

Ich habe beim ZMD-Open im Juli erlebt, wozu ein fehlender Assistent führen kann:

Der Blindspieler war nach seinem eigenen Zug vom Brett weg geführt worden; sein Gegner machte seinen Antwortzug, bevor der Blindspieler zurück war, und verließ selbst das Brett. Als jetzt der Blindspieler zurück ans Brett gebracht wurde, konnte er selbst erst mal nicht weiter spielen (auf seinem Brett hatte ja kein Zug statt gefunden!) und rief von seinem wie üblich etwas abseits positionierten Brett mehrfach laut "Hallo?" in den Turniersaal hinein, was natürlich allgemein störend wirkte. Dem Gegner unterstellte niemand eine böse Absicht, sondern der hatte das einfach nicht bedacht.

Man bindet sich also als sehender Gegner gewissermaßen ans Brett - zumindest in obiger Situation. Ich bin seither noch nicht selbst gegen einen Blindspieler angetreten, werde aber wohl seit diesem Erlebnis zukünftig auf einen Assi bestehen. Und sollte mich ein Schiri dafür nullen wollen, kann er den Protest am besten gleich selbst schreiben.

Georg Heinze
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Beitrag von Georg Heinze » 13.12.2008, 18:54

stingray schrieb:
Mit dieser Ansicht ist Daniel nicht alleine:
Die aufgeführten FIDE-Artikel stützen aber gerade NICHT die Ansicht von dfuchs.
6.8 d) Falls einem Spieler das Bedienen der Uhr nicht möglich ist, darf er für diese Aufgabe einen Assistenten stellen, der vom Schiedsrichter genehmigt werden muss. Seine Bedenkzeit wird vom Schiedsrichter angemessen angepasst.
8.1 ... Falls es einem Spieler nicht möglich ist, die Partie aufzuzeichnen, kann er einen für den Schiedsrichter akzeptablen Assistenten einsetzen, um die Züge zu notieren. Seine Bedenkzeit wird vom Schiedsrichter angemessen angepasst.
In beiden Fällen (wie auch im Anhang F) steht nirgends, dass diesen Assistenten der Veranstalter stellen MUSS, sondern der SPIELER einen Assistenten einsetzen DARF bzw. KANN. Und das ist doch der Streitpunkt?

Werner
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Beitrag von Werner » 13.12.2008, 19:40

Ja, es wäre in der Tat am einfachsten, wenn der Blinde seinen Assi mitbringt.
Der Blinde muss doch auch irgendwie zum Spiellokal kommen, bei einem Turnier irgendwo übernachten, ist da nicht von vornherein ein Helfer dabei, der auch am Brett assistieren könnte?

Stingray
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Beitrag von Stingray » 13.12.2008, 20:00

Georg Heinze hat geschrieben:
6.8 d) Falls einem Spieler das Bedienen der Uhr nicht möglich ist, darf er für diese Aufgabe einen Assistenten stellen, der vom Schiedsrichter genehmigt werden muss. Seine Bedenkzeit wird vom Schiedsrichter angemessen angepasst.
8.1 ... Falls es einem Spieler nicht möglich ist, die Partie aufzuzeichnen, kann er einen für den Schiedsrichter akzeptablen Assistenten einsetzen, um die Züge zu notieren. Seine Bedenkzeit wird vom Schiedsrichter angemessen angepasst.
In beiden Fällen (wie auch im Anhang F) steht nirgends, dass diesen Assistenten der Veranstalter stellen MUSS, sondern der SPIELER einen Assistenten einsetzen DARF bzw. KANN. Und das ist doch der Streitpunkt?
In diesen beiden Fällen steht explizit da, dass der entsprechende Spieler einen Assistenten stellt. Im Anhang F steht es nicht. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass hier die Sachlage anders sein muss. Und wie Gijssen schreibt: Wenn man alle Pflichten des Assistenten betrachtet, muss er an sich schon alleine deswegen vom Veranstalter gestellt werden, weil er absolut neutral zu sein hat, für den Blindspieler aber zum Beispiel die Uhr checkt.

Wie auch immer: Wir sind in der ursprünglichen Fragestellung noch kein Stück weiter gekommen.

Georg Heinze
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Beitrag von Georg Heinze » 13.12.2008, 21:06

Es ist bedauerlich, dass diese Problematik für andere entweder nicht so interessant ist oder es ist alles abgeklärt, so dass sich niemand mehr äußert.
Mir selbst ist die Problematik ja auch klar, aber offensichtlich habe ich meine Auffassung nicht genügend überzeugend dargelegt.
Deshalb versuche ich es nochmals:
Stingray schrieb:
In diesen beiden Fällen steht explizit da, dass der entsprechende Spieler einen Assistenten stellt. Im Anhang F steht es nicht.
Anhang F (unter 9.):
9. Der sehbehinderte Spieler darf sich von einem Assistenten unterstützen lassen, der einige oder sämtliche der folgenden Pflichten übernimmt: ...
und weiter unter f):
Wenn der sehbehinderte Spieler keinen Assistenten hat, darf der sehende Spieler einen Assistenten einsetzen, der die Aufgaben unter Punkt 9.a) und b) übernimmt.
Richtig ist, dass hier nicht ausdrücklich steht, dass der Spieler für den Assistenten zu sorgen hat, aber es steht auch nichts vom Veranstalter.
Betrachtet man aber diese beiden Festlegungen im Zusammenhang, dann kann es nur so sein, dass der SPIELER dafür zu sorgen hat.
Logik: Wenn der Veranstalter keinen Assistenten für den Blinden hat, hat er auch keinen für den Sehenden.

Nur, wenn man diese FIDE-Artikel in obenstehender Auslegung akzeptiert, löst sich auch das eingangs von stingray genannte Problem ganz einfach. Der Blinde hat nicht für einen Assisten gesorgt, folglich muss er mit den Konsequenzen leben, dass er keinen hat!
Der von stingray gezogenen Schlussfolgerung, dass der Sehende nicht zur Zugansage verpflichtet werden kann, steht die FIDE-Festlegung entgegen.
Hier steht unter Anhang F:
1. Die Züge müssen deutlich angesagt werden, vom Gegner wiederholt und von ihm auf seinem Brett ausgeführt werden.
Wer, wenn nicht der Spieler, soll die Ansage machen, wenn es keinen Assistenten gibt?
Auch die Aussage, dass der Assistent "neutral" sein muss, kann ich nur sehr bedingt folgen. Bei den unter 9. genannten Aufgaben ist wohl nur d) und e) unter diesem Aspekt betrachtenswert. Ob man dafür aber "neutral" sein muss? Das sind Aufgaben, die z.B. auch der SR übernehmen könnte / muss. Wenn kein Assistent zur Verfügung steht, hätte der Blinde hier u.U. aber einen echten Nachteil, weil er z.B. nicht auf ZÜ reklamieren könnte.

thomas.soergel
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Fischermodus für Blinde

Beitrag von thomas.soergel » 17.12.2008, 22:50

Zumindest beim Fischermodus bin ich weiter gekommen:

Elektronische Uhren mit Fischermodus, derzeit ausverkauft mit Kopfhörer über den man auf Knopfdruck beide Zeiten hört sind die Lösung. Derzeit ist beim weltweit einzigen Hersteller die erste Auflage bereits ausverkauft. Der Hersteller ist in Mexiko und liefert nach Spanien zu Onze. Der Blindenschachbund versucht in den nächsten zwei Monaten 200 interessierte Spieler und Spielerinnen zu finden, die so eine Uhr haben wollen zu finden und per Sammelbestellung dann vergünstig zu bestellen.

Die erfuhr ich vom bayerischen Spielleiter Wolfgang Fiedler.
1. Spielleiter
Bayerische Schachjugend

Georg Heinze
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Beitrag von Georg Heinze » 18.12.2008, 17:47

thomas.soergel schrieb:
Elektronische Uhren mit Fischermodus ...
Es dürfte sich doch um Digitaluhren handeln, die auch den Fischer-Modus zulassen.
Das ist immerhin ein Lichtblick, was die Information über die Bedenkzeit anbelangt.
Dann bliebe nur nach das Problem der Zugansage ...

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