Blindspieler im Mannschaftskampf - wer stellt den Hiwi?

Stingray
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Blindspieler im Mannschaftskampf - wer stellt den Hiwi?

Beitrag von Stingray » 09.12.2008, 22:36

Moin Moin,

An sich keine Regel-, sondern mehr eine Vorgehensfrage, aber gut:

Der letzte Mannschaftskampf unserer 2. hätte beinahe einen Schirikollegen in Not gebracht:

Einer der Spieler ist seit geraumer Zeit Mitglied des Blindenschachbunds und spielt stets mit einem entsprechenden Brett. In Anhang F.9 finden wir folgendes:
Der sehbehinderte Spieler darf sich von einem Assistenten unterstützten lassen, der einige oder sämtliche der folgenden Pflichten übernimmt:
[...]
Wenn der sehbehinderte Spieler keinen Assistenten hat, darf der sehende Spieler einen Assistenten einsetzen, der die Aufgaben unter Punkt 9.a) [Ausführen für den Sehbehinderten] und b) [Ansagen für den Gegner] übernimmt.
Besteht der Gegner auf einen Assistenten, keiner von beiden hat aber einen zur Verfügung, schiebt man ja bei einem Turnier üblicherweise dem Veranstalter den Schwarzen Peter zu, so dass der dann einen seiner Turnierhelfer abstellt.

Was aber bei einem Mannschaftskampf in der Oberliga, wo der sehbehinderte Spieler auch noch dem Gastteam angehört? Vom Heimverein laufen da normalerweise (so auch in diesem Fall) keine freien Leute herum, und vom Gast schon gar nicht.

Ende vom Lied war, dass der glücklicherweise nur betreuende (Gast-!)Mannschaftsführer assistierte. Anderenfalls wäre der Schiedsrichter nach eigener Aussage wohl ziemlich aufgeschmissen gewesen.

Wie aber hätte man im Extremfall verfahren müssen oder besser sollen? Der sehende Spieler darf nicht zur Zugansage gezwungen werden, und der sehbehinderte kann seine Züge nicht alleine ausführen. Vorschläge?

Werner
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Beitrag von Werner » 10.12.2008, 01:08

Derjenige, der auf einen Assistenten Wert legt, hat sich selbst um einen zu kümmern.
"Der sehende Spieler darf ..." heisst m. E. nicht, dass er einen Anspruch gegen den Veranstalter, Turnierausrichter oder die Heimmannschaft oder gar die Auswärtsmannschaft im Mannschaftskampf darauf hat, dass dieser/diese gefälligst einen Assistenten zu stellen habe.

In Bad Wörishofen nehmen alljährlich Blinde teil. Soweit ich es beobachten konnte, sind dort keine Assistenten dabei, insbesondere keine Turnierhelfer des Veranstalters. Der sehende Spieler sagt den Zug an und führt auf dem normalen Brett auch den Zug des Blinden aus. Probleme gab es dabei nach meiner Kenntnis nicht.

Trotzdem wäre es hilfreich, wenn in einer Mannschaftsmeisterschaft alle Mannschaften im Vorwege Bescheid bekommen, dass ein Blinder mitspielt, dass Platz für ein Steckbrett benötigt wird usw., damit der jeweilige Gegner sich darauf einstellen kann, gegen einen Blinden zu spielen, diese Erfahrung dürften längst nicht alle Schachfreunde schon vorher gemacht haben.


Jetzt fragt bloß nicht, was geschieht, wenn beim Mannschaftskampf zufällig ein Blinder gegen einen anderen Blinden gepaart wird...

Georg Heinze
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Beitrag von Georg Heinze » 10.12.2008, 11:29

... dann ist wohl zwingend ein Assistent erforderlich.
Ansonsten kann ich die Ausführungen von Werner nur bestätigen.
Es macht auch einen Unterschied, ob der betreffende Spieler tatsächlich blind ist im herkömmlichen Sinne oder aber nur aufgrund der Sehbehinderung so eingestuft wird.
Normalerweise sind diese Spieler dem Turnierleiter bekannt, so dass im Vorfeld auf die Besonderheiten eingegangen werden kann.

thomas.soergel
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Frage zur Uhr

Beitrag von thomas.soergel » 10.12.2008, 12:08

Ich nehme doch einmal an, dass der blinde Spieler auch seine Uhr mitbringen muss. In einem früheren Thread wurde angeführt, dass die Bundesliga plant, die Partien im Fischer-Modus zu spielen.
Gibt es denn schon elektronische Uhren, die für blinde Spieler konzipiert sind? Ansonsten hat der DSB ein Problem, falls eine Mannschaft einen blinden Spieler einsetzen will.
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Re: Frage zur Uhr

Beitrag von Eckart » 10.12.2008, 13:07

thomas.soergel hat geschrieben:In einem früheren Thread wurde angeführt, dass die Bundesliga plant, die Partien im Fischer-Modus zu spielen.
Wieso "plant"? Ist doch seit dieser Saison in der 1. Bundesliga schon der Fall.

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Re: Frage zur Uhr

Beitrag von thomas.soergel » 10.12.2008, 13:30

Eckart hat geschrieben:Wieso "plant"? Ist doch seit dieser Saison in der 1. Bundesliga schon der Fall.
Nein, erst ab der kommenden Saison. Diskussion gab es hierzu im Thread von "hoppepit" vom 26.07.2008.
Momentan gilt noch die alte Bedenkzeit s. http://www.schachbund.de/intern/ordnung ... -b.html#b4
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Beitrag von hoppepit » 10.12.2008, 13:49

...die 1. BL spielt schon seit dieser Saison mit dem Fischer-Modus! Ich durfte beim letzten BL-Einsatz alle 16 DGT-Uhren per Hand auf die Bedenkzeit programmieren, die ist nicht voreingestellt.
Gruß, Peter
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OK

Beitrag von thomas.soergel » 10.12.2008, 13:55

hoppepit hat geschrieben:...die 1. BL spielt schon seit dieser Saison mit dem Fischer-Modus! Ich durfte beim letzten BL-Einsatz alle 16 DGT-Uhren per Hand auf die Bedenkzeit programmieren, die ist nicht voreingestellt.
Danke für den Hinweis. Dann sollte also der DSB mal seine TO auf der HP aktualisieren. Aber was machst Du, wenn ein blinder Spieler zu so einem Kampf mit seiner Blinden-Uhr auftaucht?
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Beitrag von dfuchs » 10.12.2008, 13:58

Es ist aktuell kein blinder Schachspieler auf der Rangliste der 1. Schachbundesliga, sollte es mal dazu kommen, dann wird die Leitung der Schachbundesliga wohl oder übel dazu eine Entscheidung finden.

Da die Schachbundesliga nicht direkt dem Deutschen Schachbund untersteht, würde ich die Turnierordnung halt von der "offiziellen Seite hohlen.

http://schachbundesliga.de/CommonFiles/ ... 140608.pdf

Gruß Daniel

Nachtrag: Eine Schnellsuche, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt zeigt, dass es tatsächlich keine Schachuhr für blinde Schachfreunde gibt, die den Fischermodus beherrschen.

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Danke für den Link

Beitrag von thomas.soergel » 10.12.2008, 14:06

dfuchs hat geschrieben:Es ist aktuell kein blinder Schachspieler auf der Rangliste der 1. Schachbundesliga, sollte es mal dazu kommen, dann wird die Leitung der Schachbundesliga wohl oder übel dazu eine Entscheidung finden.
Vielen Dank für den Link. Momentan geht also noch alles gut, aber nachdem es offenbar immer mehr Turniere im Fischer-Modus gibt, sollte man sich um die blinden Schachspieler auch Gedanken machen.
Insbesondere, wenn der DSB diese Bedenkzeit übernehmen möchte.
Mal sehen, was meine Funktionärskollegen dazu meinen.
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Beitrag von Georg Heinze » 10.12.2008, 14:29

dfuchs schrieb:
Nachtrag: Eine Schnellsuche, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt zeigt, dass es tatsächlich keine Schachuhr für blinde Schachfreunde gibt, die den Fischermodus beherrschen.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang: wie hat man es zur Schacholympiade gelöst?
Ich nehme an, dass auch für die Blindenauswahl die gleichen Bedenkzeitregelungen galten?

dfuchs
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Beitrag von dfuchs » 10.12.2008, 15:07

Eine nahe liegende Vermutung währe, dass ein Assistent die Bedenkzeiten des Sehbehinderten ansagt.

siehe F2.9d) der FIDE-Regeln.

Dass bei Schacholympiade Assistenten vor Ort sind, dürfte sehr wahrscheinlich sein.

Gruß Daniel

Nachtrag:
Ich stimme übrigens Werner in seiner Ansicht, dass der sehende Spieler kein Recht auf einen Assistenten hat nicht zu. Ich denke, er hat dieses Recht sehr wohl und ist auch nicht verpflichtet sich selbst einen zu suchen. Ich denke, dass diese Aufgabe, genauso wie das Stellen von Partieformularen und Spielmaterial zu den Aufgaben des Veranstalters gehört, was meiner Meinung nach auch durch die Einleitung des Anhang Fs in dem der Verantalter explizit erwähnt wird (das einzige Mal in den FIDE-Regeln) gestützt wird.

Gruß Daniel

Eckart
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Beitrag von Eckart » 10.12.2008, 17:06

dfuchs hat geschrieben:Ich stimme übrigens Werner in seiner Ansicht, dass der sehende Spieler kein Recht auf einen Assistenten hat nicht zu. Ich denke, er hat dieses Recht sehr wohl und ist auch nicht verpflichtet sich selbst einen zu suchen. Ich denke, dass diese Aufgabe, genauso wie das Stellen von Partieformularen und Spielmaterial zu den Aufgaben des Veranstalters gehört, was meiner Meinung nach auch durch die Einleitung des Anhang Fs in dem der Verantalter explizit erwähnt wird (das einzige Mal in den FIDE-Regeln) gestützt wird.
Vorsicht!
Diese Auslegung - der ich ausdrücklich nicht zustimme - könnte sich als sehr kontraproduktiv erweisen, da der Veranstalter eines Opens, der dann (Kosten verursachende) Turnierhelfer als Assistenten engagieren müsste, sich ermuntert fühlen könnte, die Anmeldungen von Sehbehinderten zurück zuweisen.

Was geschieht denn, wenn in Wörishofen in einer Runde plötzlich alle Gegner der Sehbehinderten von ChessOrg einen Assistenten verlangen? Es wäre zu fürchten, dass das nächste Open ohne Sehbehinderte stattfindet...
So kann es ja wohl nicht sein.

hoppepit
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Beitrag von hoppepit » 10.12.2008, 17:36

Ich hatte in unteren Ligen schon öfter mit sehbehinderten Spielern zu tun. Wir haben auch einen blinden Spieler im Verein. Das lief bisher immer recht problemlos und ohne Assistenten. Unser blinder Spieler hat immer sein komplettes "Besteck" dabei.
Mit dem Fischer-Modus ist dann natürlich Essig ohne Assi, habe selbst auch noch keine elektronische Uhr für Blinde gesehen. Es gibt aber meines Wissens eine mit Sprachausgabe.
Gruß, Peter
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Beitrag von dfuchs » 10.12.2008, 17:42

Eckard, du bist also der Meinung, dass man als sehender Spieler echte Nachteile in kauf nehmen muss, nur weil mein Gegner nicht sieht und der Veranstalter nicht in der Lage ist einen Assistenten zu stellen?

Ich habe bereits drei (Turnier-)Partien gegen blinde Schachspieler gespielt und bewundere deren Leistung sehr, aber ich sehe den sehenden Spieler hier ohne Assistent eindeutig benachteiligt.

Wenn ein Spieler nicht in der Lage ist mitzunotieren, erhält er ohne Assistenten einen Bedenkzeitabzug, wenn ein blinder Spieler auf einen Assistenten verzichtet, dann wird der sehende Spieler bestraft?

Irgendwo passt das nicht so ganz.

Ein Vorschlag, der vielleicht als Kompromiss dient:
Wenn der blinde Spieler auf einen Assistenten verzichtet und der Veranstalter nicht in der Lage ist einen Assistenten zu stellen, erhält der sehende Spieler aufgrund seines Mehraufwands eine 10-minütige Zeitgutschrift (analog zum Zeitabzug, aufgrund des Minderaufwands bei nicht notationspflichtigen Spielern).

Gruß Daniel

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