Georg Heinze hat geschrieben:Werner schrieb:
Natürlich gehen die FIDE-Regeln davon aus, dass der Schiedsrichter nicht zugleich auch Spieler ist.
Das ist ja aber oftmals das Problem!
Natürlich weiß auch die FIDE, dass die weitaus meisten (Mannschafts-) Kämpfe ohne einen neutralen Schiedsrichter stattfinden.
Ist das wirklich so? In Deutschland ja, aber wie sieht's andernorts aus? Das Beispiel mit Gijssen hätte ich auch angeführt, wenn es nicht schon genannt worden wäre. Also handhaben die Niederländer dies offensichtlich schon mal anders. Weiß jemand, wie in anderen Ländern damit umgegangen wird?
Die meisten FIDE-Regeln ignorieren aber diesen Umstand. Die einzige Ausnahme ist der Anhang D (Endspurtphase ohne Anwesenheit eines Schiedsrichters).
Warum diese Ignoranz? - ich weiß es nicht. Möglicherweise sieht die FIDE Kämpfe ohne SR nicht als ihr Problem an, sondern überlässt es den LV, analoge Regelungen zu treffen.
Das
ist auch nicht die Aufgabe der Fide, bzw. des Rules Committee. Die Fide legt ein allgemeines Regelwerk und
separate Turnierordnungen für die von ihr direkt durchgeführten Turniere fest. Das ist in allen Sportverbänden so. (Z.B. beschreibt die FIFA auch nur die Regeln für ein einzelnes Fußballspiel, aber macht dem DFB auch keine Vorschrift, wie viele Mannschaften an der Bundesliga teilnehmen dürfen. Aus organisatorischen Gründen gibt es eine Obergrenze (die vielleicht auch nur von der UEFA stammt, das weiß ich nicht), aber das ist schon alles.)
Dann übernehmen eben ML diese Funktion, aber eben auch wiederum nicht alle Aufgaben eines SR. Es ist ja auch schwierig, der (oder die) ML sind in den meisten Fällen ja auch Spieler. Sie spielen selbst, haben ihre Partie beendet und gelten somit als Zuschauer oder sind überhaupt nur Zuschauer, weil sie sozusagen nur als Ersatz fungieren. Und dann gibt es in manchen TO noch den Passus "Beauftragter der Mannschaft". Außerdem gibt es noch den "Ersatz"-ML, weil der planmäßige ML nicht verfügbar ist.
Die entsprechenden Turnierordnungen beziehen sich immer auf den Mannschaftsführer vor Ort. Das muss keinesfalls derjenige sein, dessen Kontaktdaten im Saisonheft aufgeführt sind.
Und trotzdem wird auch noch Schach gespielt und oftmals gibt es weniger Probleme als mit SR!
Diese Polemik höre ich so oft, und ich kann sie nicht ausstehen. Wo kein Schiedsrichter vorhanden ist, lassen Spieler häufig viel mehr mit sich machen, weil sie nicht wissen, was sie ertragen müssen und was
nicht, aber auch bei niemandem nachfragen können. Wer stört schon gerne seinen Mannschaftsführer bei dessen hochkompliziertem Turmendspiel, nur weil man sich nicht sicher über die korrekte Durchführung einer Remisreklamation ist?
Eine Sache stimmt möglicherweise: Es gibt weniger Streitfälle. Aber das liegt IMHO nicht an der Abwesenheit des Schiedsrichters. Die meisten Streitfragen entstehen in und um Zeitnot, und das passiert in den unteren Klassen einfach so gut wie nie.
Und wenn doch mal Probleme entstehen? Vor einigen Jahren habe ich das selbst erlebt. Ein gegnerischer Spieler machte in einer Partie einen illegalen Zug, was unsere Spielerin der entsprechenden Mannschaft bemerkte und ihn darauf hinwies. Hier noch kein Problem, aber jetzt wollte er 4.3 ("Berührt-Geführt") nicht mehr beachten und ließ sich auch von den Mannschaftsführern nicht umstimmen. Glücklicherweise lief zufällig nebenan ein Oberligakampf mit einem lizenzierten (neutralen) Schiri, der ihn schnell überzeugen konnte. Was sonst passiert wäre? Keine Ahnung. Da sein eigener Mannschaftsführer wohl kaum eine Maßregelung gegen seinen Spieler akzeptiert hätte, hätte diese Partie im schlimmsten Fall hier abgebrochen und an die nächsthöhere Instanz verwiesen werden müssen. Wie praktisch hier doch ein Schiedsrichter vor Ort gewesen wäre... - aber, oh je, dann müssten die Teams ja vielleicht noch an unterschiedlichen Tagen antreten, damit nicht alle Schiedsrichter selbst als Spieler aktiv sind. Undenkbar!
Keiner spricht darüber, wie viele Kämpfe mit Schiedsrichter absolut glatt ablaufen, weil derjenige seine Rolle ernst nimmt. Leider gehört dazu, inhaltlich vom Kampf recht wenig mitzubekommen. Dass Schiedsrichter
vereinzelt schlechte Entscheidungen treffen, ist doch kein Argument gegen sie. Im Gegenteil: Sie sollten viel häufiger eingesetzt werden, um eine Routine zu entwickeln. Aus Fehlern lernt man. Mich ärgert es tierisch, dass ich diese Saison keine Einsätze habe, nur weil ich in der Planungsphase umgezogen bin und zu Turnieren nie angefordert werde. Warum müssen eigentlich alle Schiedsrichtereinsätze schon Monate vor Saisonbeginn feststehen? Andere Sportarten planen mit einem Vorlauf von maximal vier Wochen. In anderen Sportarten müssen Schiedsrichter aber auch nicht nur eine theoretische Prüfung ablegen, sondern auch eine "praktische" - ein offizieller Beobachter kommt zum ersten vom Prüfling geleiteten Spiel und beurteilt selbiges. Würden im Schach die Prüfungsregeln von den Landesverbänden ernster genommen, gäbe es weniger schlechte Schiedsrichter. Bei meiner TL-Prüfung bei der DSJ sind tatsächlich Leute durchgefallen, das ist in Bremen absolut unmöglich. Dabei dürfen die Landesverbände RSR-Lehrgänge durchführen, und diese Leute werden dann bis hoch zur 2. Bundesliga eingesetzt.
Wir Schachschiedsrichter haben ein leidvolles Los: Solange wir unsere Arbeit, für die wir zum Teil der eigenen Mannschaft absagen müssen, gut machen, spricht keiner darüber, weil es eben niemand wirklich sieht (allenfalls ein Schirikollege, von denen es leider viel zu wenige gibt). Aber sobald wir einmal einen strittigen Fall entscheiden müssen oder uns gar ein Fehler unterläuft, wird darüber teilweise jahrelang oder vielleicht immer wieder diskutiert.
Aber ich merke gerade, dass ich abschweife. Um zur ursprünglichen Frage zurückzukommen: Ein Widerspruch existiert zwar nicht, aber Regelungen mit derartigen Doppelfunktionen nehmen immer mögliche Probleme in Kauf.
Georg Heinze hat geschrieben:Wenn er stört, müsste er sich selbst (oder vom gegenerischen ML) aus dem Turnierareal verweisen / verwiesen werden.
Richtig; dann benötigte der gegnerische Teamchef zwar entsprechendes Rückgrat, aber die Entscheidung wäre definitiv berechtigt. Besonders lustig wäre es natürlich, wenn der heimische Teamchef dadurch aus dem eigenen Spiellokal geschmissen würde. Vielleicht braucht man erst mal einen echten derartigen Fall, um diese Hilfsregel ernsthaft in Frage zu stellen.
Es würde aber auch -streng genommen- obigen FIDE-Festlegungen widersprechen, wenn z.B. über ein Remisangebot oder dessen Annahme zu entscheiden ist. Soweit ich TO kenne, kann hierzu der Mannschaftsleiter konsultiert werden. Aber weder als Spieler, noch als Zuschauer oder Schiedsrichter dürfte er sich einmischen.
"Auf Nachfrage antworten" ist ja keine "aktive Einmischung". Insbesondere sollte dies zur Störungsvermeidung nicht direkt am Brett geschehen. Trotzdem haben wir natürlich 12.2. Dieser Ausnahme beim Mannschaftskampf liegt die Annahme zugrunde, dass der Mannschaftsführer den besten Überblick über den gesamten Kampf besitzt und unter diesen Gesichtspunkten ein der gesamten Mannschaft dienliches Urteil (das an sich nur aus einem "Ja" oder "Nein" bzw. "Nimm an" oder "Lehn ab" und nicht aus einer langen Diskussion a la "Wie fühlst Du Dich? Hast Du noch Ideen?" bestehen darf) abgeben darf und soll. Nach meinem Empfinden kein echter Widerspruch, sondern eine in den Regeln nicht erfasste Situation. Wiederum ist mir nicht bekannt, wie es diesbezüglich in anderen Ländern aussieht.
Dazu fällt mir gerade eine Geschichte ein, die ich hier einfach nur mal wiedergeben will. Jeder mag sich selbst ein Urteil bilden: Bis zum letzten Sommer war ich als Redakteur des Bremer Verbandsorgans auch für die Veröffentlichung der Rundenberichte zuständig. Ein Mannschaftsführer hatte seiner Ergebnismeldung eine Beschwerde (keinen formalen Protest) über das unmögliche Verhalten zweier gegnerischer Spieler beigelegt: Die beiden hatten doch tatsächlich die Dreistigkeit besessen, ihnen angebotene Remisen erst mal nur zu notieren und dann einige Zeit zu warten, wie sich die anderen Bretter so entwickeln würden. Eine halbe Stunde oder so, bis sie die Angebote dann doch annahmen. Der Staffelleiter leitete den Rundenbericht zusammen mit diesem Schreiben an seinen gesamten Verteiler weiter - mit dem Vermerk, ein solches Verhalten müsse man wirklich mal anprangern. Ich habe nur kopfschüttelnd zurückgemailt, welches Verhalten er denn meine? Schließlich geht es im Mannschaftskampf doch genau um das Agieren als Team, und die Überlegung, ein Remis anzunehmen oder abzulehnen, ist da einer der ganz zentralen Punkte, bei dem selbstverständlich die Situation an den übrigen Brettern eine Rolle spielt. Auf die Antwort warte ich heute noch...